Siebenundvierzigstes Kapitel - Hadschi wird Schreiber bei
einer berühmten Persönlichkeit
Von meiner Mutter schied ich ohne viel Bedauern. Da auch
ihr die Trennung nur geringen Kummer zu bereiten schien, so
entbehrte unser Abschied jeder Zärtlichkeit. Sie hatte ihre
Pläne, ich die meinen, und so, wie sich unser Verhältnis
gestaltet hatte, war es wohl das beste, wenn unsre Wege sich
möglichst wenig kreuzten.
Bei Tagesanbruch bestieg ich mein Maultier und hatte, ehe
die Sonne unterging, schon ein gutes Stück meines Weges nach
Kum hinter mir. Am neunten Tage meiner Reise aber blinkte mir
abermals die Kuppel des Grabmales der Fatimeh entgegen.
In der Stadt stieg ich in einer kleinen Karawanserei ab, wo
ich mein Maultier gut versorgt wußte, und begab mich hierauf,
mit meinem Geschenk unter dem Arme, zur Behausung des
Mudschtähid. Da er nicht mit zahlreichen Dienern, welche die
Fremden einschüchtern konnten, prunkte, so war seine Tür, im
Gegensatze zu andern persischen, vornehmen Häusern, stets für
jedermann geöffnet. Meinen Teppich und meine Schuhe ließ ich
vor der Tür zurück und fand bei meinem Eintritt den gütigen
Mann, in einer Ecke des Zimmers sitzend.
Er erkannte mich sofort, und als er mich zum Niedersitzen
einlud, nahm ich mit der ihm gebührenden Ehrfurcht auf der
äußersten Kante des Teppichs Platz.
Er bat mich, ihm alle meine Abenteuer seit der Entlassung
aus dem Heiligtum zu erzählen, und schien großen Anteil an
meinem Geschick zu nehmen. Ich vertraute ihm auch, welch
tiefen inneren Drang ich fühlte, mein Leben ganz einem
heiligen Zweck zu weihen, und bat ihn, mir behülflich zu sein,
irgendeine Stellung zu erlangen, die mir die Möglichkeit bot,
im Interesse des wahren Glaubens zu wirken. Nachdem er einige
Augenblicke nachgedacht hatte, sagte er: »Gerade diesen Morgen
erhielt ich einen Brief vom Molla Nadan, einem unsrer ersten
Schriftgelehrten Teherans, der dringend jemand sucht, der halb
Schreiber, halb Diener wäre – kurz, einen Mann, der selbst das
Zeug zu einem Molla hätte und den in allem zu unterrichten,
was dieser Beruf erfordere, er sich anheischig mache.«
Als ich das hörte, hüpfte mir das Herz vor Freude, denn
gerade nach so einer Stellung stand mir der Sinn. »Überlaßt es
nur mir,« dachte ich; »habt ihr erst einen halben Molla aus
mir gemacht, so will ich selber Sorge tragen, ein ganzer zu
werden.«
Ich bat darauf den Mudschtähid ohne alle Umschweife, er
möge mit seiner Güte gegen mich nicht auf halbem Wege stehen
bleiben und mich mit einer Empfehlung versehen, worauf er mir
alsbald ein mit eigner Hand geschriebenes, sorgfältig
zusammengerolltes Brieflein übergab und sagte: »Begib dich
ohne Verzug nach Teheran, zweifellos wird die Stelle noch
nicht besetzt sein, und der Molla ist sicher willens, dich in
seine Dienste zu nehmen.«
In überströmender Glückseligkeit küßte ich die Hände sowie
das Gewand des heiligen Mannes und bedankte mich tausendmal
für seine große Güte. »Nun hätte ich meinem Meister noch eine
weitere Bitte vorzutragen,« sagte ich; »Ihr möget mir gnädigst
gestatten, Euch dieses kleine ›Pisch-kesch‹ (Ehrengeschenk) zu
Füßen legen zu dürfen, in der Hoffnung, Ihr möchtet meiner
manchmal im Gebete gedenken.«
»Möge dein Haus gedeihen, wenn auch zu diesem Geschenk
nicht die geringste Veranlassung vorlag,« sagte verbindlich
der Mudschtähid. »Bleibe ein guter Muselmann, bekämpfe die
Ungläubigen und steinige die Sufis; etwas anderes verlange ich
nicht von dir. Sei überzeugt, daß, wenn du dies befolgst, ich
dir stets ein gutes Andenken bewahren werde.«
Daraufhin holte ich mein Geschenk, über das er große Freude
äußerte, und kehrte, nachdem ich entlassen war, in meine
Karawanserei zurück, ohne mir die Zeit zu nehmen, weder bei
meinen alten Bekannten in Kum vorzusprechen, noch einen Blick
auf meine Unglückszelle im Heiligtume zu werfen, sattelte mein
Maultier und setzte meinen Weg noch in der gleichen Nacht nach
Pul-i-Dallāk fort.
Um nicht an der Stelle vorbeizukommen, wo die unglückliche
Seneb begraben lag, erreichte ich Teheran auf einem Umwege und
ritt durch das Tor von Kaswin ein. Ich war glücklich, daß die
Wachen, die sich, als ich noch meine frühere Stellung
bekleidete, bei meinem Erscheinen stets ungeheuer
dienstbeflissen zeigten, mich nicht erkannten. Doch in der Tat
war es nur zu natürlich, unter dem Gewande des demütigen,
unbedeutenden Priesters nicht den tätigen, unruhigen und
gebieterischen Nessektschi zu vermuten. Ich fühlte mich darum
vor der Hand in meiner Verkleidung sicher und schritt kühn
durch die Basare und die öffentlichen Plätze der Stadt, wo man
früher nicht gehen konnte, ohne meinem Gesicht beständig zu
begegnen.
Ich fragte nach dem Hause des Molla Nadan, was mir, da er
ein wohlbekannter Mann war, sofort gezeigt wurde. Aber bei
näherer Überlegung hielt ich es für klüger und auch
schicklicher, in einer kleinen, dem Hause meines zukünftigen
Herrn nahegelegenen Karawanserei abzusteigen, als mich so spät
am Abend vorzustellen; lag mir doch alles daran, durch meine
äußere Erscheinung den denkbar günstigsten Eindruck
hervorzurufen. Nachdem ich bestens für mein Maultier gesorgt
hatte, fiel ich nach den Beschwerden der Reise in einen
ruhigen, erquickenden Schlaf, begab mich am nächsten Morgen
ins Bad, ließ meinen Bart frisch färben, Hände und Füße
ausgiebigst mit Henna verschönern und konnte mir dann
schmeicheln, meine Erscheinung sei ganz dazu angetan, das
größte Wohlgefallen zu erregen.
Das Haus des Molla lag zwischen der königlichen Moschee und
den Quartieren der Kamelartilleristen, dicht am Eingange des
Basars, der beim Tore der besagten Moschee anfängt und dessen
anderes Ende unmittelbar zu dem Graben vor des Schahs Palast
führt. Die Straßenfront des Hauses war ärmlich. Allein, trat
man durchs Tor in den zwar kleinen, doch reinlich gehaltenen
und reichlich mit Wasser besprengten Hof und das Zimmer,
dessen Fenster hier herausgingen, so war es freilich nur weiß
getüncht, aber doch mit einer so erklecklichen Anzahl von
Teppichen ausgeschmückt, die zwar keinen Reichtum verrieten,
dennoch jede Armut ausschlossen.
In diesem Zimmer saß ein bleicher, kränklich scheinender
Mann, den ich irrtümlicherweise für den Hausherrn hielt, der
jedoch noch in seinem Enderun verweilte und in Bälde
erscheinen sollte.
»Ihr seid wahrscheinlich erst seit ganz kurzer Zeit in
Teheran angekommen?« fragte mich der Mann.
»Zu dienen, ja,« antwortete ich.
»Sicherlich habt Ihr die Absicht, einige Zeit hier zu
bleiben?«
»Das ist noch unsicher,« erwiderte ich.
Nach einer Pause begann er abermals: »Allein zu leben, und
wäre es nur eine Woche lang, ist doch, obgleich die Stadt
Teheran gar viele Lustbarkeiten bietet, höchst langweilig.
Wenn ich Euch darum in irgendeiner Weise dienlich sein könnte,
so wäre ich, bei meinen Augen! gern dazu bereit«.
»Möge Eure Güte sich nie vermindern! doch ich habe mit dem
Molla zu reden.«
»Ob Ihr mit ihm oder mit mir sprecht, macht keinen
Unterschied,« sagte er. »Bei allen Euren Geschäften könnte ich
Euch an die Hand gehen, und, Allah sei gepriesen! Ihr würdet
zur vollsten Zufriedenheit bedient werden. Von jeder Sorte und
zu jedem Preise haben wir auf Lager.«
»Ich bin kein Kaufmann,« antwortete ich.
»Es ist gar nicht nötig, ein Kaufmann zu sein,« sagte er.
»Ihr seid ein Mann und ein Fremder, das genügt. Ob nun auf ein
Jahr oder einen Monat, eine Woche oder einen Tag, ja selbst
auf eine Stunde, Ihr könntet gut versorgt werden und Eure Zeit
recht angenehm verbringen; bei meinem Kopfe! so ist es.«
Da mir der Sinn dieser Worte immer rätselhafter wurde, war
ich gerade auf dem Punkte, ihn zu ersuchen, er möchte meinem
Verständnisse zu Hülfe kommen, als der Molla Nadan ins Zimmer
trat.
Dieser war ein schöner, hochgewachsener Mann von ungefähr
vierzig Jahren, dessen frischgefärbter Bart im tiefsten
Schwarz erglänzte, dessen dunkle Augen eine Umrandung von
Antimonium noch leuchtender erstrahlen ließen. Ein ungeheurer
Turban aus weißem Musselin umwand sein Haupt, über die
Schultern hatte er einen ›Chirket‹ oder arabischen, weiß- und
braungestreiften Mantel geworfen. Wenn seine athletische Figur
sich auch wohl besser zum Soldaten als zum Gelehrten eignen
mochte, so ermangelte doch der Ausdruck seiner Züge jedes
kriegerischen Freimutes, verriet im Gegenteil Verschmitztheit
und Verschlagenheit, die aber zu gleicher Zeit mit gutem Humor
gepaart zu sein schienen.
Bei seinem Eintritt erhob ich mich, übergab ihm stracks den
Brief des Mudschtähid und wagte nicht, mich wieder
niederzusetzen.
Nachdem er den Brief aufgerollt hatte, blickte er zuerst
diesen und dann wieder mich so aufmerksam an, als wollte er
erraten, was mich herführe. Sobald er jedoch den Inhalt des
Schreibens entziffert hatte, leuchtete sein Gesicht auf, und
er bat mich, Platz zu nehmen.
»Du bist willkommen,« sagte er und richtete dann bezüglich
des Wohlbefindens des heiligen Mannes eine Reihe von Fragen an
mich, die ich so beantwortete, als stünde ich mit diesem auf
dem intimsten Fuße.
Er entschuldigte sich hierauf, mir keinen Kalian anbieten
zu können; »denn«, sagte er, »ich selbst rauche niemals. Unser
heiliger Prophet (über dem Frieden und Heil sei!) hat seinen
Nachfolgern alles verboten, was berauschend wirken könnte. Und
wenn auch der Genuß des Tabaks in ganz Persien und der Türkei
allgemein verbreitet ist, so enthalte ich mich dessen
trotzdem, weil er bekanntermaßen auf den Verstand etwas
benebelnd einwirkt.«
Er fuhr dann fort, so lange über sich selbst, sein strenges
Fasten sowie seine Kasteiungen zu reden, bis ich zu fürchten
begann, auch ich müßte meine Tage in Abtötung verbringen, von
Wonnen hingegen, wie sie mir soeben noch der Priester in
Aussicht gestellt hatte, wäre keine Rede. Doch Nadans
gesundes, rosiges Aussehen, sein stattlicher, wohlgenährter
Körper, die in so grellem Gegensatze zu der von ihm
gepredigten, entsagungsvollen Lebensweise standen, ließen mich
im stillen hoffen, mit der Zeit schon dahinterzukommen, wie
große Freiheiten er sich in der Auslegung der Gesetze erlaube,
daß sein äußeres Auftreten, ganz wie sein Haus, das private
und öffentliche Gemächer aufwies, sich nur den Anforderungen
der Welt anpasse und er im stillen Kämmerlein wohl ausgiebigst
seinen persönlichen Freuden huldige.