Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Vierundzwanzigstes Kapitel - Hadschis Liebesglück

Am nächsten Abend stieg ich auf die Terrasse, wo ich hoffte, das vereinbarte Zeichen zu entdecken, sah aber keinen Schleier und ließ mich ganz verzweifelt nieder. Auf der Altane waren die Tabaksblätter verschwunden, das Haus schien wie ausgestorben; selbst die ewig kreischende, zänkische Stimme, die mir jetzt der süßeste aller Naturlaute dünkte, fehlte. Nur gelegentlich war das Schlürfen eines Pantoffels zu vernehmen, ein Beweis, daß wohl die alte Leila im Hause herumschlich. Schon hatte ich die fernen Klänge der königlichen Musiktruppe, das Lärmen der Trommeln und Schmettern der Trompeten, die den Sonnenuntergang verkünden, vernommen, hatte den verschiedenen Tönen der Muezzin, die den Gläubigen zum Abendgebete mahnen, gelauscht, ebenso den Trommelschlägen der Polizisten, welche die Kaufleute und Bürger auffordern, ihre Läden zu schließen und nach Hause zu gehen. In großen Zwischenräumen ertönte der Schrei der Schildwachen vom Wachtturme des königlichen Palastes; die Nacht brach herein, und noch immer herrschte völlige Ruhe im Hause des Doktors. Ich fragte mich, was das zu bedeuten habe. War jemand erkrankt? Wenn sie alle im Bade gewesen waren, konnten sie sich nicht so lange dort aufgehalten haben, denn nur des Vormittags war dies für Frauen geöffnet. Fand eine Hochzeit statt? Ein Begräbnis? Oder hatte der Doktor am Ende die Bastonade bekommen? So zermarterte ich mir das Gehirn, als plötzlich ans Haustor geklopft wurde, bald darauf die Pantoffeln klapperten und verschiedene Stimmen erschallten, unter denen vor allen die kreischende, zänkische heraustönte. Ich beschloß, zu warten und auf mein Glück zu hoffen. Kurz darauf stahl sich Seneb vorsichtig zu mir und sagte eilig, sie könne nur einen Augenblick verweilen. Ihre Herrin wäre ans Krankenbett ihrer Schwester, einer der Damen im königlichen Harem, berufen worden, diese sei aber plötzlich, wie man vermutete durch Gift einer Rivalin, verschieden. Die Khanum hätte dann alle Sklavinnen mitgenommen, um das bei solchen Anlässen übliche Klagegeschrei recht imposant zu gestalten. Seit Mittag wären sie alle im Sterbehause gewesen und hätten aus Leibeskräften bis zur völligen Heiserkeit geschrien. Ihre Herrin habe der Sitte, aus Gram die Kleider zu zerreißen, mit der größten Vorsicht genügt und in Anbetracht dessen, daß sie ihre Lieblingsjacke trug, sich begnügt, ein paar Säume behutsam aufzutrennen. Da das Begräbnis am nächsten Morgen stattfinde, müsse sie früh am Platze sein und weiterklagen, für welche harte Arbeit sie ein schwarzes Taschentuch und Süßigkeiten nach Herzenslust erhoffe. Hierauf verließ mich meine Schöne mit dem Versprechen, das Äußerste zu wagen, um eine Zusammenkunft für den nächsten Tag zu ermöglichen.

Als ich am andern Morgen aufstand, war ich sehr erstaunt, Seneb, die mir zuwinkte, im Hofe zu erblicken. Fliegenden Schrittes sprang ich die Stufen hinunter, die sie sonst heraufgeeilt war, und befand mich plötzlich mitten im Harem. Bei dem Gedanken, daß kein Mann diesen Ort ungestraft betreten durfte, erfaßte mich ein Schauder, doch meine Herzallerliebste lächelte so fröhlich und so unbefangen, daß ich mutig weiterschritt. »Komm, Hadschi,« sagte sie, »sei ohne Sorgen, außer mir ist kein Mensch zu Hause; und wenn das Glück uns hold ist, so gehört der ganze Tag uns!« – »Durch welches Wunder hast du das erreicht?« fragte ich; »wo ist die Khanum, wo sind die Sklavinnen? Und wenn diese auch abwesend sind, wie soll ich dem Doktor entkommen?«

»Befürchte nichts. Ich habe alle Türen verriegelt, und sollte jemand kommen, so kannst du entwischen, während ich öffne; aber dafür besteht keine Gefahr. Alle sind bei der Leichenfeier, und was Mirza Ahmak anbelangt, über den hat meine Herrin, die mich allein zu Hause weiß, schon vorsorglich so verfügt, daß er nicht wagen darf, seinem Hause auf eine Meile im Umkreise zu nahen. Ich sehe, Hadschi, du staunst! Aber siehe, das Geschick ist uns wohlgesinnt, und die Stunde unsrer ersten Begegnung war eine glückbringende. Alles geht nach Wunsch! Die Georgierin, meine Rivalin, setzte der Khanum in den Kopf, Leila, die in allen Zweigen der gewerbsmäßigen Kunst zu klagen seit ihrer Kindheit unterwiesen wurde, dürfe bei diesem Anlasse nicht fehlen, müsse vielmehr meine Stelle vertreten, da ich als Kurdin von persischen Gebräuchen wenig verstünde; und alles das nur, weil sie mir das schwarze Taschentuch und die Süßigkeiten nicht gönnte. Demzufolge ließ man mich zu Hause, die übrigen gingen schon vor einer Stunde ins Sterbehaus. Ich gab vor, schwer gekränkt zu sein, und sträubte mich aufs heftigste, meinen Platz Leila abzutreten. Aber dem Himmel sei Dank, wir sind vereint! Laß uns darum so glücklich wie nur möglich sein!«

Während sie in die Küche ging, ein Frühstück für mich herzurichten, überließ sie es mir, mich in den Räumen des Harems umzusehen, die sonst für den Junggesellen eine verbotene Frucht sind.

Zuerst betrat ich die Gemächer, welche die Khanum selbst bewohnte. Ein immenses Schiebefenster aus farbigen Glasscheiben gewährte die Aussicht in den Garten. Ein doppelt zusammengelegter Filzteppich in der Ecke, darauf ein sehr großes, mit Quasten verziertes und mit einer Schutzhülle aus Musselin versehenes Daunenkissen aus Goldstoff, schien mir der gewohnte Ruheplatz der Dame zu sein. Dicht daneben lag ein sehr hübsch bemalter Spiegel, den die Khanum wohl fleißig benützte, wenn sie Augenwimpern und Augenbrauen mittels kleiner Instrumente mit Kollyrium schwarz färbte. Eine Schachtel neben dem Spiegel enthielt nicht nur dieses so beliebte Färbemittel, sondern auch chinesisches Rot für Wangen und Lippen, ein paar Armbänder, an denen Talismane baumelten, ein Schmuckstück, genannt ›Tu zulfeh‹, das im Haare befestigt auf die Stirn niederfällt, ein Messer, Scheren und mannigfache andere Dinge, deren eine persische Dame zu bedürfen glaubt. Die einzelnen Bettstücke, zu einem Ballen zusammengerollt, von einem blau und weiß gestreiften Leinenüberzuge geschützt, lagen in einer entfernten Ecke des Gemaches. Uneingerahmte Bilder schmückten die Wände. Auf dem Zierbrett, das oben rund um das Zimmer lief, stand eine erkleckliche Anzahl Gläser, Schüsseln und Teller von mannigfaltigster Form. In einer andern Ecke entdeckte ich zu meinem Erstaunen mehrere Flaschen Schiraser Wein. Die gute Dame schien sich noch diesen Morgen an einer der Flaschen, die nur mit einer Blume verschlossen war, gütlich getan zu haben; wahrscheinlich wollte sie ihre Kräfte genügend stärken, um sich bei all den traurigen Anforderungen eines Begräbnisses aufrecht halten zu können. Ein andres Mal sollten mich scheinheilige und entsagungsvolle Mienen nicht mehr täuschen. Ich sehe, daß unser guter Doktor, der als unerschütterlich gläubiger Muselmann bei den Zechgelagen außerhalb des Hauses nur Brunnenwasser und Scherbett trinkt, sich dafür innerhalb des Hauses durch eine Menge guten Weines entschädigt. Ich hatte alles angesehen, was mich interessierte. Seneb brachte das Frühstück und setzte es mir im Gemache der Khanum vor. Ach, die Mahlzeit war ganz unvergleichlich köstlich! Wir saßen ganz nahe nebeneinander auf dem gleichen, vorhin von mir erwähnten Kissen. Verlockend standen vor mir: eine Schüssel mit Reis, so weiß wie Schnee; ein gar herrlich Gericht aus kleinen, starkgerösteten Fleischstücken, jedes in einer Umhüllung von fladenartigem persischen Brot; große Schnitten einer wunderbar saftigen Melone aus Ispahan; etliche schöne Birnen und Aprikosen, ein aufgewärmter Eierkuchen vom vorhergehenden Tage, Käse, Zwiebeln, Lauch; eine Schüssel voll Mâ (künstlich gesäuerte Milch), zwei Arten von Scherbett (Fruchtsaft), außerdem einige auserlesene Süßigkeiten und eine Schale frischen Honigs.

»Im Namen deiner Mutter,« rief ich aus, drehte meine Schnurrbartspitzen in die Höhe und überschaute trunkenen Blickes die Herrlichkeiten vor mir, »wie warst du nur imstande, das alles so rasch zu beschaffen? Das Frühstück ist eines Schahs würdig!«

»Rege dich darüber nur nicht auf, sondern lange tüchtig zu,« entgegnete Seneb. »Gestern abend befahl die Herrin, das Frühstück für heute herzurichten, diesen Morgen aber beschloß sie, ihre Mahlzeit im Trauerhause einzunehmen, darum verblieb mir, wie du siehst, gar wenig Arbeit. Komm Hadschi, laß uns essen und fröhlich sein.« Wir taten dem Frühstück große Ehre an und ließen fast nichts davon übrig. Nachdem wir uns die Hände gewaschen, stellten wir eine Flasche Wein vor uns hin und tranken, dem Gesetze zum Hohn, jedes ein Glas. Das Blut kreiste heftiger in unseren Adern, wir versicherten uns gegenseitig, wie glücklich wir uns fühlten. Wonnetrunken genoß ich die Gegenwart und wollte mich nicht um die Zukunft sorgen. Ich ergriff die mir naheliegende Gitarre, stimmte sie und sang ein Lied von Hafis, das ich in meiner Jugend erlernt und womit ich einst meine Zuhörer im Bade entzückt hatte:

Sänger mit lieblich tönendem Mund,
Tu uns was Frisches, was Neues kund,
Bring uns den Wein, der das Herz uns erfreu.
Immer wieder und immer aufs neu!

Wie ein Püppchen mit deinem Schätzchen,
Setz dich still an ein lauschiges Plätzchen,
Drück sie ans Herz und küsse sie frei,
Immer wieder und immer aufs neu!

Silberschenkliger Schenke mein,
Schenke den herzberückenden Wein,
Schnell, daß der Krug nie ledig sei.
Immer wieder und immer aufs neu!

Nie genießet des Lebens Frucht,
Wer nicht in Wein und Liebe sie sucht.
Trink! Und denke der Liebsten dabei
Immer wieder und immer aufs neu!

Liebchen sich täglich schminkt und malt.
Bis sie mir herrlich entgegenstrahlt,
Mit der köstlichsten Spezerei,
Immer wieder und immer aufs neu!

Wind des Morgens! geh hin und weh
Bis ans Haus jener lieblichen Fee,
Grüß sie von ihrem Hafis treu.
Immer wieder und immer aufs neu!

Seneb, die ihr Lebtag nichts ähnlich Reizvolles vernommen hatte, geriet ganz außer sich vor Entzücken, und wir vergaßen beide unsre jämmerliche Lage, sie die der armen Sklavin, ich meine von allem entblößte Existenz; wir fühlten und taten, als gehörte uns das Haus und die ganze Welt, als währte unsre Liebe ewig und flösse immer Wein.

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