Zweiundzwanzigstes Kapitel - Hadschi verliebt sich
Unzufrieden mit meinem gegenwärtigen Lose, unsicher, wie
sich meine künftigen Aussichten gestalten würden, verbrachte
ich meine Tage in gänzlichem Müßiggange und kümmerte mich, da
ich keine Neigung fühlte, die Profession eines Arztes auf
ebenso unzureichenden Grundlagen auszuüben, wie schon so viele
vor mir getan, wenig um das, was Mirza Ahmak beschäftigte.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte ich ihn augenblicklich
verlassen, wäre nicht infolge meines müßigen Lebens ein
Umstand eingetreten, der mich im Hause festhielt. Die
Empfindung, die nun in meinem Herzen emporblühte, ertötete
jede andre Erwägung so vollständig, machte mich so zum
willenlosen Sklaven, mein Fühlen war so leidenschaftlich, daß
ich fürwahr glaube, selbst Madschnun in seiner höchsten
Liebesraserei konnte nicht toller gewesen sein als ich. Nach
alledem noch zu erwähnen, daß ich mich verliebt hatte, ist
wohl überflüssig.
Der Frühling war vorüber, die ersten Sommergluten hatten
sich fühlbar gemacht und die meisten der Städter gezwungen,
des Nachts ihr Lager auf dem Hausdache aufzuschlagen. Da ich
die Nächte nicht in der Gesellschaft des Teppichbreiters und
des Koches, die in einem Zimmer des Erdgeschosses hausten,
verbringen mochte, so trug ich mein Bett in eine Ecke der
Terrasse, von der aus man das Innere des Hofes überblicken
konnte, in dem die Frauengemächer lagen. Die Fenster dieser
Zimmer gingen auf den viereckigen, mit Pappeln, Rosen und
Jasmin bepflanzten Hof. In seiner Mitte erhob sich ein
viereckiges, hölzernes Podium, wo die Bewohner, auf Matratzen
gelagert, die Nacht verbrachten. Wohl hatte ich im Hofe
verschiedene Frauengestalten sitzen sehen, aber niemals war
mir eine von ihnen besonders aufgefallen. Und in der Tat, wenn
das der Fall gewesen, würde ich wohl niemals mehr daran
gedacht haben, sie nochmals anzuschauen; denn wäre ich
entdeckt worden, hätte man eine Flut von Schimpfworten gegen
mich ausgestoßen und mich mit allen häßlichen Namen belegt,
die man ersinnen konnte. Eines Abends indessen, bald nach
Sonnenuntergang, gerade als ich mein Bett herrichtete und
zufällig durch einen Spalt der etwas abgebröckelten Mauer
schaute, entdeckte ich auf einer unmittelbar darangebauten
Altane ein weibliches Wesen, das beschäftigt war, Tabakblätter
auszulesen und auszubreiten. Nachlässig war der blaue Schleier
über ihren Kopf geworfen. Als sie eine Ruhepause machte,
fielen zwei lange, an der Stirn angeflochtene Zöpfe fast
neidisch über das ganze Gesicht, die in mir den brennenden
Wunsch erregten, auch das zu sehen, was sie verhüllten. Alles
an ihr ließ auf große Schönheit schließen. Ihre kleinen Hände
und zierlichen Füße waren mit Henna gefärbt, ihr ganzes
Gebaren und ihre Gestalt verkündeten Anmut und Grazie.
Ich starrte sie so lange an, bis ich mein Entzücken nicht
länger bemeistern konnte, und machte ein leises Geräusch, das
sie sofort veranlaßte heraufzuschauen. Ehe sie sich
verschleiern konnte, hatte ich Zeit gehabt, die reizendsten
Züge zu erblicken, die sich die kühnste Phantasie erträumen
kann, und einen Blick aus so bestrickenden Augen zu erhalten,
daß mein Herz lichterloh entflammte. Mit sichtlichem
Mißvergnügen verhüllte sie sich, handhabte aber, wie ich
beobachten konnte, ihren Schleier mit solcher Kunst, daß doch
ein dunkles Auge daraus hervorblitzte und sich meiner
Verwirrung sichtlich erfreute. Als ich nicht nachließ, sie
anzustarren, sagte sie endlich, ohne ihre Arbeit zu
unterbrechen: »Weshalb starrst du mich so an? Das ist
verbrecherisch.«
»Um des heiligen Husseïn willen«, rief ich, »wende dich
nicht von mir; zu lieben ist kein Verbrechen; deine Augen
haben mir das Herz verbrannt. Bei der Mutter, die dich
geboren, lasse mich nochmals dein Antlitz schauen.«
Da antwortete sie mit gedämpfter Stimme: »Warum forderst du
das? Du weißt, für eine Frau ist es ein Frevel, das Angesicht
zu zeigen; du bist weder mein Vater, noch mein Bruder, noch
mein Ehemann; ich weiß nicht einmal, wer du bist. Empfindest
du denn gar keine Scham, so mit einem jungen Mädchen zu
reden?«
In diesem Augenblicke ließ sie wie aus Zufall ihren
Schleier fallen, und abermals konnte ich ihr Angesicht
bewundern, das noch schöner war, als ich erwartet hatte. Ihre
großen, tiefschwarzen Augen umsäumten lange Wimpern, die mit
Hilfe des Collyrium eine Art Hinterhalt bildeten, aus dem sie
ihre Pfeile schossen. Ihre feingeschwungenen Augenbrauen ließ
die Natur gerade über der Nase in eine starke Linie
zusammenlaufen, so daß keine Kunst vonnöten war, sie zu
vereinen. Ihre Nase war sanft gebogen, ihr kleiner Mund von
süßestem Ausdrucke; ein sorgfältig gemalter, blauer Punkt
lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Grübchen im Kinn. Ihr
unvergleichlich herrliches Haar fiel in langen Zöpfen über den
Rücken. Kurz, ich war hingerissen in Bewunderung ihrer
Schönheit. Bei ihrem Anblick begriff ich erst, warum unsere
Dichter von Zypressengestalten, zärtlich milden Gazellen und
zuckerpickenden Papageien sprechen. Ich hätte mich ewig in
ihren Anblick versenken mögen. Meine Leidenschaft wuchs; ich
war nahe daran, mit einem Satze die Mauer zu überspringen, um
mich ihr zu nahen, als eine laute, schrille Stimme den Namen »Seneb«
rief, meine schöne Angebetete die Altane eiligst verließ und
ich wie angewurzelt auf dem Platze blieb. Ich wartete noch
lange, hoffte, sie würde wiederkommen, lauschte auf jedes
Geräusch, vernahm aber weiter nichts als abermals die
mißvergnügte, kreischende Stimme, die nur des Doktors Frau
gehören konnte, von der das Gerücht behauptete, sie sei nicht
von der mildesten Sorte und habe ihren artigen Mann stark
unter der Fuchtel.
Die Dunkelheit war hereingebrochen, ich wollte mich gerade
ganz verzweifelt schlafen legen, als die Stimme abermals
schrie: »Seneb, wo willst du noch hin? Warum gehst du nicht zu
Bett?«
Nur undeutlich vernahm ich die Antwort meiner Zauberhexe,
erriet sie aber gar bald, als sie nochmals auf der Altane
erschien. Mein Herz schlug in wilden Schlägen, und ich war im
Begriff, die Mauer, die uns trennte, zu überspringen, als ich
sah, wie sie die Tabaksblätter in einen Korb legte und eilends
davonlief. Im Weggehen flüsterte sie mir zu: »Sei morgen nacht
hier!« Diese Worte versetzten mein Gemüt in eine Aufregung wie
niemals etwas anderes zuvor; unaufhörlich sagte ich sie mir
vor, sann darüber nach, bis ich ganz erschöpft in einen
fieberhaften Schlummer fiel, aus dem ich erst erwachte, als
mir am andern Morgen die ersten Sonnenstrahlen hell ins
Gesicht schienen.