Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Zweiundzwanzigstes Kapitel - Hadschi verliebt sich

Unzufrieden mit meinem gegenwärtigen Lose, unsicher, wie sich meine künftigen Aussichten gestalten würden, verbrachte ich meine Tage in gänzlichem Müßiggange und kümmerte mich, da ich keine Neigung fühlte, die Profession eines Arztes auf ebenso unzureichenden Grundlagen auszuüben, wie schon so viele vor mir getan, wenig um das, was Mirza Ahmak beschäftigte.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte ich ihn augenblicklich verlassen, wäre nicht infolge meines müßigen Lebens ein Umstand eingetreten, der mich im Hause festhielt. Die Empfindung, die nun in meinem Herzen emporblühte, ertötete jede andre Erwägung so vollständig, machte mich so zum willenlosen Sklaven, mein Fühlen war so leidenschaftlich, daß ich fürwahr glaube, selbst Madschnun in seiner höchsten Liebesraserei konnte nicht toller gewesen sein als ich. Nach alledem noch zu erwähnen, daß ich mich verliebt hatte, ist wohl überflüssig.

Der Frühling war vorüber, die ersten Sommergluten hatten sich fühlbar gemacht und die meisten der Städter gezwungen, des Nachts ihr Lager auf dem Hausdache aufzuschlagen. Da ich die Nächte nicht in der Gesellschaft des Teppichbreiters und des Koches, die in einem Zimmer des Erdgeschosses hausten, verbringen mochte, so trug ich mein Bett in eine Ecke der Terrasse, von der aus man das Innere des Hofes überblicken konnte, in dem die Frauengemächer lagen. Die Fenster dieser Zimmer gingen auf den viereckigen, mit Pappeln, Rosen und Jasmin bepflanzten Hof. In seiner Mitte erhob sich ein viereckiges, hölzernes Podium, wo die Bewohner, auf Matratzen gelagert, die Nacht verbrachten. Wohl hatte ich im Hofe verschiedene Frauengestalten sitzen sehen, aber niemals war mir eine von ihnen besonders aufgefallen. Und in der Tat, wenn das der Fall gewesen, würde ich wohl niemals mehr daran gedacht haben, sie nochmals anzuschauen; denn wäre ich entdeckt worden, hätte man eine Flut von Schimpfworten gegen mich ausgestoßen und mich mit allen häßlichen Namen belegt, die man ersinnen konnte. Eines Abends indessen, bald nach Sonnenuntergang, gerade als ich mein Bett herrichtete und zufällig durch einen Spalt der etwas abgebröckelten Mauer schaute, entdeckte ich auf einer unmittelbar darangebauten Altane ein weibliches Wesen, das beschäftigt war, Tabakblätter auszulesen und auszubreiten. Nachlässig war der blaue Schleier über ihren Kopf geworfen. Als sie eine Ruhepause machte, fielen zwei lange, an der Stirn angeflochtene Zöpfe fast neidisch über das ganze Gesicht, die in mir den brennenden Wunsch erregten, auch das zu sehen, was sie verhüllten. Alles an ihr ließ auf große Schönheit schließen. Ihre kleinen Hände und zierlichen Füße waren mit Henna gefärbt, ihr ganzes Gebaren und ihre Gestalt verkündeten Anmut und Grazie.

Ich starrte sie so lange an, bis ich mein Entzücken nicht länger bemeistern konnte, und machte ein leises Geräusch, das sie sofort veranlaßte heraufzuschauen. Ehe sie sich verschleiern konnte, hatte ich Zeit gehabt, die reizendsten Züge zu erblicken, die sich die kühnste Phantasie erträumen kann, und einen Blick aus so bestrickenden Augen zu erhalten, daß mein Herz lichterloh entflammte. Mit sichtlichem Mißvergnügen verhüllte sie sich, handhabte aber, wie ich beobachten konnte, ihren Schleier mit solcher Kunst, daß doch ein dunkles Auge daraus hervorblitzte und sich meiner Verwirrung sichtlich erfreute. Als ich nicht nachließ, sie anzustarren, sagte sie endlich, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen: »Weshalb starrst du mich so an? Das ist verbrecherisch.«

»Um des heiligen Husseïn willen«, rief ich, »wende dich nicht von mir; zu lieben ist kein Verbrechen; deine Augen haben mir das Herz verbrannt. Bei der Mutter, die dich geboren, lasse mich nochmals dein Antlitz schauen.«

Da antwortete sie mit gedämpfter Stimme: »Warum forderst du das? Du weißt, für eine Frau ist es ein Frevel, das Angesicht zu zeigen; du bist weder mein Vater, noch mein Bruder, noch mein Ehemann; ich weiß nicht einmal, wer du bist. Empfindest du denn gar keine Scham, so mit einem jungen Mädchen zu reden?«

In diesem Augenblicke ließ sie wie aus Zufall ihren Schleier fallen, und abermals konnte ich ihr Angesicht bewundern, das noch schöner war, als ich erwartet hatte. Ihre großen, tiefschwarzen Augen umsäumten lange Wimpern, die mit Hilfe des Collyrium eine Art Hinterhalt bildeten, aus dem sie ihre Pfeile schossen. Ihre feingeschwungenen Augenbrauen ließ die Natur gerade über der Nase in eine starke Linie zusammenlaufen, so daß keine Kunst vonnöten war, sie zu vereinen. Ihre Nase war sanft gebogen, ihr kleiner Mund von süßestem Ausdrucke; ein sorgfältig gemalter, blauer Punkt lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Grübchen im Kinn. Ihr unvergleichlich herrliches Haar fiel in langen Zöpfen über den Rücken. Kurz, ich war hingerissen in Bewunderung ihrer Schönheit. Bei ihrem Anblick begriff ich erst, warum unsere Dichter von Zypressengestalten, zärtlich milden Gazellen und zuckerpickenden Papageien sprechen. Ich hätte mich ewig in ihren Anblick versenken mögen. Meine Leidenschaft wuchs; ich war nahe daran, mit einem Satze die Mauer zu überspringen, um mich ihr zu nahen, als eine laute, schrille Stimme den Namen »Seneb« rief, meine schöne Angebetete die Altane eiligst verließ und ich wie angewurzelt auf dem Platze blieb. Ich wartete noch lange, hoffte, sie würde wiederkommen, lauschte auf jedes Geräusch, vernahm aber weiter nichts als abermals die mißvergnügte, kreischende Stimme, die nur des Doktors Frau gehören konnte, von der das Gerücht behauptete, sie sei nicht von der mildesten Sorte und habe ihren artigen Mann stark unter der Fuchtel.

Die Dunkelheit war hereingebrochen, ich wollte mich gerade ganz verzweifelt schlafen legen, als die Stimme abermals schrie: »Seneb, wo willst du noch hin? Warum gehst du nicht zu Bett?«

Nur undeutlich vernahm ich die Antwort meiner Zauberhexe, erriet sie aber gar bald, als sie nochmals auf der Altane erschien. Mein Herz schlug in wilden Schlägen, und ich war im Begriff, die Mauer, die uns trennte, zu überspringen, als ich sah, wie sie die Tabaksblätter in einen Korb legte und eilends davonlief. Im Weggehen flüsterte sie mir zu: »Sei morgen nacht hier!« Diese Worte versetzten mein Gemüt in eine Aufregung wie niemals etwas anderes zuvor; unaufhörlich sagte ich sie mir vor, sann darüber nach, bis ich ganz erschöpft in einen fieberhaften Schlummer fiel, aus dem ich erst erwachte, als mir am andern Morgen die ersten Sonnenstrahlen hell ins Gesicht schienen.

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