Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Einundzwanzigstes Kapitel - Hadschi ist unzufrieden mit seiner Lage

Bis jetzt hatte mich Mirza Ahmak mehr als Freund wie als Diener behandelt. Er gestattete mir, mich in seiner Gegenwart zu setzen, mit ihm zu essen, sogar seine Pfeife zu rauchen, während ich mich anderseits auch zu seinen Dienern gesellte, mit diesen aß, trank und rauchte. Aber diese Existenz entsprach in keiner Weise meinen Plänen und Erwartungen. Außer dem einen Goldstück, das ich doch nur meiner eigenen Schlauheit verdankte, hatte er mir noch gar nichts bezahlt, und so wie die Dinge lagen, schien es mir, als sollte dies Goldstück keine Nachfolger erhalten.

Ich war darum fest entschlossen, mich mit ihm auszusprechen und die gute Stimmung zu benützen, in welche ihn der Sieg über den fremden Doktor versetzt hatte.

Gerade kehrte er vom kaiserlichen Hoflager heim, hatte den Schah gesehen, der äußerst gnädig mit ihm gewesen war, ihn nur zwei Stunden ohne Schuhe auf der steinernen Einfassung eines Springbrunnens stehen ließ, anstatt sechs, wie es sonst seine Gepflogenheit war. »Welch gütiger Herrscher er ist!« rief er aus. »Wie liebenswürdig, wie einsichtsvoll! Seine huldvolle Güte gegen mich läßt sich gar nicht mit Worten schildern. Um meine Verdienste hervorzuheben, schmähte er den europäischen Arzt, sagte, er sei nicht wert, mir die Schuhe zu halten. Dann befahl er seinem Lieblingsläufer, mir als Geschenk zwei Rebhühner, die die königlichen Falken fingen, zu überbringen.«

Ich bemerkte: »Ja, der Schah spricht die Wahrheit! Wer steht heute m Persien höher als Ihr? Glücklicher Schah, der solch ein Kleinod sein eigen nennt! Wie die Franken sich überhaupt unterstehen können, über medizinische Dinge zu reden? Wenn sie nach Gelehrsamkeit verlangt, nach Naturwissenschaft und Erfahrung, zeigt ihnen als Vorbild Mirza Ahmak.«

Daraufhin nahm er mit selbstgefälligem Lächeln die Pfeife aus dem Munde, um sie mir zu geben, zwirbelte seine Schnurrbartspitzen in die Höhe und streichelte seinen Bart.

»Inschallah! Möchte es Gott gefallen, daß auch ich etwas von Eurem Ruhme profitieren könnte! Aber ich bin ein armer Hund! – ich bin nichts – nicht einmal wie das Stück Lehm, dem die Nähe der Rose ihren Duft verlieh!«

»Warum so niedergeschlagen, Freund Hadschi? fragte der Doktor. »Damit Ihr selbst urteilen könnt,« erwiderte ich ihm, »will ich Euch eine Geschichte erzählen:

»Es war einmal ein Hund, der in jeder Beziehung einem Wolfe so ähnlich sah, daß die Wölfe ihn als ihresgleichen zu betrachten pflegten. Wie sie, aß, trank und zerriß er Schafe, kurz, er hatte alle Eigenschaften, die bei einem Wolfe vorausgesetzt werden. Gleichzeitig aber lebte der Hund mit seinesgleichen wie ein richtiger Hund. Ganz allmählich merkten die Hunde, er mache gemeinsame Sache mit den Wölfen, und zogen sich mißtrauisch von ihm zurück. Gleichzeitig entdeckten die Wölfe, daß er nichts anderes sei als ein Hund, und wollten ihn auch nicht länger in ihrer Gesellschaft dulden, so daß der arme Hund, der weder zu den einen noch zu den andern gehörte, ein ganz vereinsamtes, jämmerliches Dasein führte und diesem unhaltbaren Zustande ein Ende machen wollte, indem er alles daran setzte, in Zukunft weder Wolf noch Hund zu sein.

»Ich bin der Hund!« rief ich aus. »Ihr, der hoch über mir steht, gestattet mir in Eurer Gegenwart zu sitzen und zu rauchen; Ihr fragt mich um Rat, erlaubt mir sogar, mit Euren Freunden zu verkehren; aber was hilft mir das? – Ich bin ein Diener, ohne die Vorteile dieser Stellung zu genießen. Ich bitte Euch, weist mir darum irgendeine dienende Stellung in Eurem Hause an und gebt mir einen bestimmten Lohn.« »Warum nicht gar einen Lohn!« rief der Doktor; »ich zahle niemals Löhne. Meine Diener trachten, bei meinen Patienten möglichst viel herauszuschlagen; tue desgleichen! Sie nähren sich von den Resten meiner Mahlzeiten, am Festtage des Nouruz erhalten sie ein neues Gewand; brauchen sie vielleicht noch mehr?«

In diesem Augenblick trat ein Läufer des Schahs ein, der auf einer silbernen Platte ein Paar Rebhühner trug, die Seine Majestät dem Doktor schickte, und ihm diese unter großen Zeremonien aushändigte.

Der Doktor stand auf, hob die Platte bis zu Haupteshöhe und rief: »Möge die Gnade des Schahs sich nie verringern, möge sein Reichtum wachsen und sein Leben ewig währen.«

Indessen wurde er aufgefordert, dem Überbringer, der draußen wartete, etwas zu schenken. Er schickte zuerst fünf Piaster (ungefähr zwei Schillinge) hinaus, die der Läufer mit Entrüstung zurückwies. Dann ließ er ihm zwei Toman anbieten, die ebenfalls nicht angenommen wurden; endlich, als man ihm zu verstehen gab, fünf Toman seien die übliche Taxe, riß sich der verzweifelte Doktor die Goldstücke vom Herzen. Die Freude über das Geschenk ward ihm durch diesen peinlichen Zwischenfall gründlich verdorben. In seiner Wut erlaubte er sich unziemliche Ausdrücke, deren Hinterbringung die peinlichsten Folgen für ihn haben konnte. »Und das soll ein Geschenk sein! Solche Geschenke mag der Teufel holen! Auf diese Manier werden die Gehälter der königlichen Diener bezahlt, dieser räuberischen, scham- und gewissenlosen Schurken! Das Schlimmste von allem ist, daß wir sie aus Vorsicht bezahlen müssen; denn wenn es jemals passierte, daß ich die Bastonade bekäme – und das kann und wird sicher einmal passieren –, würden diese Kerle nicht das geringste Erbarmen mit meinen Fußsohlen haben.

»Ich will des Dichters Saadi gedenken, der sagte, man könnte sich auf die Freundschaft eines Königs nicht mehr als auf die Stimme eines Kindes verlassen! – die erstere verändere sich bei jedem Verdachte, die letztere im Verlaufe einer Nacht.« Endlich beruhigte sich der Doktor darüber, unfreiwillig fünf Toman haben schwitzen zu müssen, was immerhin noch besser war, als die Bastonade zu bekommen.

Ich hatte genug vernommen, der Augenblick zur Klärung meiner Lage war nicht günstig; ich mußte mich begnügen, vor der Hand weder Wolf noch Hund zu sein, war aber fest entschlossen, den »Lukman seines Zeitalters« bei der nächsten günstigen Gelegenheit zu verlassen.

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