Einundzwanzigstes Kapitel - Hadschi ist unzufrieden mit
seiner Lage
Bis jetzt hatte mich Mirza Ahmak mehr als Freund wie als
Diener behandelt. Er gestattete mir, mich in seiner Gegenwart
zu setzen, mit ihm zu essen, sogar seine Pfeife zu rauchen,
während ich mich anderseits auch zu seinen Dienern gesellte,
mit diesen aß, trank und rauchte. Aber diese Existenz
entsprach in keiner Weise meinen Plänen und Erwartungen. Außer
dem einen Goldstück, das ich doch nur meiner eigenen
Schlauheit verdankte, hatte er mir noch gar nichts bezahlt,
und so wie die Dinge lagen, schien es mir, als sollte dies
Goldstück keine Nachfolger erhalten.
Ich war darum fest entschlossen, mich mit ihm auszusprechen
und die gute Stimmung zu benützen, in welche ihn der Sieg über
den fremden Doktor versetzt hatte.
Gerade kehrte er vom kaiserlichen Hoflager heim, hatte den
Schah gesehen, der äußerst gnädig mit ihm gewesen war, ihn nur
zwei Stunden ohne Schuhe auf der steinernen Einfassung eines
Springbrunnens stehen ließ, anstatt sechs, wie es sonst seine
Gepflogenheit war. »Welch gütiger Herrscher er ist!« rief er
aus. »Wie liebenswürdig, wie einsichtsvoll! Seine huldvolle
Güte gegen mich läßt sich gar nicht mit Worten schildern. Um
meine Verdienste hervorzuheben, schmähte er den europäischen
Arzt, sagte, er sei nicht wert, mir die Schuhe zu halten. Dann
befahl er seinem Lieblingsläufer, mir als Geschenk zwei
Rebhühner, die die königlichen Falken fingen, zu überbringen.«
Ich bemerkte: »Ja, der Schah spricht die Wahrheit! Wer
steht heute m Persien höher als Ihr? Glücklicher Schah, der
solch ein Kleinod sein eigen nennt! Wie die Franken sich
überhaupt unterstehen können, über medizinische Dinge zu
reden? Wenn sie nach Gelehrsamkeit verlangt, nach
Naturwissenschaft und Erfahrung, zeigt ihnen als Vorbild Mirza
Ahmak.«
Daraufhin nahm er mit selbstgefälligem Lächeln die Pfeife
aus dem Munde, um sie mir zu geben, zwirbelte seine
Schnurrbartspitzen in die Höhe und streichelte seinen Bart.
»Inschallah! Möchte es Gott gefallen, daß auch ich etwas
von Eurem Ruhme profitieren könnte! Aber ich bin ein armer
Hund! – ich bin nichts – nicht einmal wie das Stück Lehm, dem
die Nähe der Rose ihren Duft verlieh!«
»Warum so niedergeschlagen, Freund Hadschi? fragte der
Doktor. »Damit Ihr selbst urteilen könnt,« erwiderte ich ihm,
»will ich Euch eine Geschichte erzählen:
»Es war einmal ein Hund, der in jeder Beziehung einem Wolfe
so ähnlich sah, daß die Wölfe ihn als ihresgleichen zu
betrachten pflegten. Wie sie, aß, trank und zerriß er Schafe,
kurz, er hatte alle Eigenschaften, die bei einem Wolfe
vorausgesetzt werden. Gleichzeitig aber lebte der Hund mit
seinesgleichen wie ein richtiger Hund. Ganz allmählich merkten
die Hunde, er mache gemeinsame Sache mit den Wölfen, und zogen
sich mißtrauisch von ihm zurück. Gleichzeitig entdeckten die
Wölfe, daß er nichts anderes sei als ein Hund, und wollten ihn
auch nicht länger in ihrer Gesellschaft dulden, so daß der
arme Hund, der weder zu den einen noch zu den andern gehörte,
ein ganz vereinsamtes, jämmerliches Dasein führte und diesem
unhaltbaren Zustande ein Ende machen wollte, indem er alles
daran setzte, in Zukunft weder Wolf noch Hund zu sein.
»Ich bin der Hund!« rief ich aus. »Ihr, der hoch über mir
steht, gestattet mir in Eurer Gegenwart zu sitzen und zu
rauchen; Ihr fragt mich um Rat, erlaubt mir sogar, mit Euren
Freunden zu verkehren; aber was hilft mir das? – Ich bin ein
Diener, ohne die Vorteile dieser Stellung zu genießen. Ich
bitte Euch, weist mir darum irgendeine dienende Stellung in
Eurem Hause an und gebt mir einen bestimmten Lohn.« »Warum
nicht gar einen Lohn!« rief der Doktor; »ich zahle niemals
Löhne. Meine Diener trachten, bei meinen Patienten möglichst
viel herauszuschlagen; tue desgleichen! Sie nähren sich von
den Resten meiner Mahlzeiten, am Festtage des Nouruz erhalten
sie ein neues Gewand; brauchen sie vielleicht noch mehr?«
In diesem Augenblick trat ein Läufer des Schahs ein, der
auf einer silbernen Platte ein Paar Rebhühner trug, die Seine
Majestät dem Doktor schickte, und ihm diese unter großen
Zeremonien aushändigte.
Der Doktor stand auf, hob die Platte bis zu Haupteshöhe und
rief: »Möge die Gnade des Schahs sich nie verringern, möge
sein Reichtum wachsen und sein Leben ewig währen.«
Indessen wurde er aufgefordert, dem Überbringer, der
draußen wartete, etwas zu schenken. Er schickte zuerst fünf
Piaster (ungefähr zwei Schillinge) hinaus, die der Läufer mit
Entrüstung zurückwies. Dann ließ er ihm zwei Toman anbieten,
die ebenfalls nicht angenommen wurden; endlich, als man ihm zu
verstehen gab, fünf Toman seien die übliche Taxe,
riß sich der verzweifelte Doktor die Goldstücke vom Herzen.
Die Freude über das Geschenk ward ihm durch diesen peinlichen
Zwischenfall gründlich verdorben. In seiner Wut erlaubte er
sich unziemliche Ausdrücke, deren Hinterbringung die
peinlichsten Folgen für ihn haben konnte. »Und das soll ein
Geschenk sein! Solche Geschenke mag der Teufel holen! Auf
diese Manier werden die Gehälter der königlichen Diener
bezahlt, dieser räuberischen, scham- und gewissenlosen
Schurken! Das Schlimmste von allem ist, daß wir sie aus
Vorsicht bezahlen müssen; denn wenn es jemals passierte, daß
ich die Bastonade bekäme – und das kann und wird sicher einmal
passieren –, würden diese Kerle nicht das geringste Erbarmen
mit meinen Fußsohlen haben.
»Ich will des Dichters Saadi gedenken, der sagte, man
könnte sich auf die Freundschaft eines Königs nicht mehr als
auf die Stimme eines Kindes verlassen! – die erstere verändere
sich bei jedem Verdachte, die letztere im Verlaufe einer
Nacht.« Endlich beruhigte sich der Doktor darüber,
unfreiwillig fünf Toman haben schwitzen zu müssen, was
immerhin noch besser war, als die Bastonade zu bekommen.
Ich hatte genug vernommen, der Augenblick zur Klärung
meiner Lage war nicht günstig; ich mußte mich begnügen, vor
der Hand weder Wolf noch Hund zu sein, war aber fest
entschlossen, den »Lukman seines Zeitalters« bei der nächsten
günstigen Gelegenheit zu verlassen.