Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Achtzehntes Kapitel - Hadschi im Hause des Doktors

Sobald mich der Doktor erblickte, hieß er mich in sein Zimmer treten und bat mich, Platz zu nehmen, was ich mit jener Unterwürfigkeit tat, die der gute Ton dem Untergebenen vorschreibt, wenn ihm ein Höhergestellter eine so große Ehre erweist. Er teilte mir mit, wie günstig sich der Poet über mich geäußert und gesagt habe, ich sei, besonders was Verschwiegenheit und Klugheit anbeträfe, eine ganz zuverlässige Persönlichkeit, hätte viel im Leben gesehen, wäre niemals um Auswege verlegen und behandelte mir anvertraute Angelegenheiten, die Umsicht und Geheimhaltung erforderten, mit der allergrößten Geschicklichkeit. Als er so sprach, verbeugte ich mich zu wiederholten Malen, hielt meine von den Ärmeln bedeckten Hände gegen den Magen gedrückt, achtete auch darauf, meine Füße möglichst zu verbergen. Er fuhr fort: »Gerade in diesem Augenblicke benötige ich eine Persönlichkeit, die jene Eigenschaften, die mir Asker an dir rühmte, wirklich besitzt; und da ich unbedingtes Vertrauen in meinen Freund setze, beabsichtige ich von deiner Geschäftsgewandtheit Gebrauch zu machen. Entsprechen deine Erfolge meinen gehegten Erwartungen, so sei versichert, daß du es gut haben sollst und ich deiner Dienste stets eingedenk bleiben werde.«

Dann bat er mich, näher zu treten, schaute sich ängstlich um, als fürchtete er einen Lauscher, und sagte in leisem vertraulichen Tone: »Hadschi, du wirst sicher gehört haben, daß vor kurzem ein fränkischer Gesandter am Hofe eintraf und sich in seinem Gefolge auch ein Arzt befindet. Dieser Ungläubige hat sich hier schon einen ganz bedeutenden Ruf erworben. Er behandelt seine Patienten auf eine uns gänzlich unbekannte Manier, kam mit einer Kiste voll von Heilmitteln an, deren Namen wir niemals gehört haben, besitzt angeblich mannigfaltige Kenntnisse von Dingen, über die wir in Persien noch gar nichts wissen, macht keinerlei Unterschied zwischen kalten und warmen Krankheiten, heißen und kalten Mitteln, wie sie Galenus und Avicenna verordneten, gibt aber Merkur anstatt kühlender Arznei; sticht gegen Gase im Magen mit einem spitzen Instrumente in den Bauch und – was das Schlimmste von allem ist – behauptet, die schwarzen Blattern einfach durch einen Extrakt der Kuh, der dem menschlichen Körper eingeflößt wird, aus der Welt zu schaffen, eine Entdeckung, die kürzlich einer ihrer Philosophen gemacht hat. Hadschi, das darf nicht sein! – Die schwarzen Blattern waren mir eine so bequeme Einnahmequelle, die ich nicht entbehren will, weil es einem Ungläubigen beliebt, hierherzukommen und so zu tun, als wären wir Perser nur Ochsen! – Der Grund aber, warum ich deines Beistandes in diesem Augenblick ganz besonders bedarf, ist folgendes Vorkommnis. Vor zwei Tagen befiel den Großwesir, nachdem er weit mehr als die gewohnte Portion rohen Lattich und Gurken, in Essig und Zucker getunkt, gegessen hatte, ein ungemein heftiges Übelbefinden. Dies kam dem fränkischen Gesandten, der anwesend war, als der Großwesir den Salat verspeiste, zu Ohren. Er sandte ihm hierauf sofort seinen Arzt mit der Bitte, dem Kranken Erleichterung verschaffen zu dürfen. Die Beziehungen zwischen dem Großwesir und dem Botschafter waren anscheinend in der jüngsten Zeit nicht die besten, weil letzterer sehr dringend eine politische Maßnahme forderte, die der Großwesir in Erwägung der persischen Interessen die Pflicht hatte abzuschlagen. Nun dachte dieser, die Dienste des fränkischen Arztes anzunehmen, sei eine famose Gelegenheit, um einen Kompromiß zu schließen und den Ungläubigen zu beschwichtigen. Wäre ich nur zur rechten Zeit von allem unterrichtet worden, hätte ich diese Vorkommnisse leicht verhindern können. Der Doktor verlor natürlich keine Minute, sein Mittel zu verabreichen, das, wie ich höre, nur in einer kleinen weißen Pille ohne jeden Geschmack bestand. Entgegen allen Erwartungen, und weil es das Unglück wollte, soll die Wirkung eine verblüffend wunderbare gewesen sein. Der Großwesir fühlte eine derartige Erleichterung, daß er von nichts anderem mehr spricht, und behauptet, er habe deutlich gefühlt, wie die Pille bis in die Fingerspitzen alle Schädlichkeiten aus seinem Körper zog; er empfindet nun mit einem Male so eine Verjüngung seiner Kräfte, daß er, seinem hohen Alter zum Hohne, davon spricht, seinen Harem bis zur Zahl der ihm vom heiligen Propheten erlaubten Frauen zu vergrößern. Aber damit ist diese Unglücksgeschichte noch nicht zu Ende. Der ganze Hof ist jetzt nur damit beschäftigt, von der wunderbaren Arznei des fränkischen Arztes zu reden, und heute morgen beim Selam war das erste Gespräch Seiner Majestät, die ans Wunderbare grenzenden Eigenschaften des Arztes zu rühmen. Er veranlaßte den Großwesir, ihm alles, was er schon berichtet hatte, nochmals zu wiederholen. Als dieser aber betonte, welche Wunderdinge bei ihm zutage traten, da durchlief die ganze Versammlung ein vernehmbares Gemurmel der höchsten Anerkennung und Bewunderung. Seine Majestät wandte sich mir zu und verlangte eine Erklärung, wodurch ein so winziges Ding eine so große Wirkung hervorbringen könne? Zu einer Antwort gezwungen, verbeugte ich mich, um meine Verwirrung zu bemänteln, so tief wie nur möglich, küßte die Erde und sprach: ›O König der Könige, noch habe ich das Gift, welches der fremde Arzt dem Großwesir verabreichte, nicht in Augenschein nehmen können; sobald dies aber geschehen, will ich Eure Majestät in Kenntnis setzen, welches seine Bestandteile sind. Indessen steht Euer demütiger Sklave den Mittelpunkt des Weltalls an, zu bedenken, daß in diesem Falle die wirksame Kraft, weil sie ein Werkzeug in der Hand eines Ungläubigen ist, eines Feindes unseres wahren Bekenntnisses, der den heiligen Propheten einen Betrüger schilt und die ewigen Gesetze der Vorherbestimmung leugnet, ein böser, unserem heiligen Glauben feindseliger Geist sein muß.‹

»Das sagte ich, um den wachsenden Ruhm des Fremden zu untergraben, zog mich dann zurück und sann lange darüber nach, wie ich in die Geheimnisse des Ungläubigen eindringen, hauptsächlich aber das Wesentliche seiner Verordnungen, die solche Wunder wirken, ergründen könnte. Darum, Hadschi, kommt mir dein Beistand so ungemein gelegen. Du mußt sofort die Bekanntschaft des Arztes machen; ich überlasse es deiner Gewandtheit, ihm langsam und mit Bedacht die Würmer aus der Nase zu ziehen und möglichst viel aus ihm herauszulocken. Da ich aber vor allem wünsche, eine Probepille zu erhalten, um den Schah darüber berichten zu können, muß deine erste Dienstleistung damit beginnen, eine große Menge rohen Lattichs und Gurken zu essen, um mindestens ebenso krank zu werden, wie der Großwesir es war. Du mußt dich in deiner Not an den fremden Arzt wenden, der dir zweifelsohne ein Duplikat jener berühmten Pillen verabreichen wird, die du mir dann aushändigst.« »Aber«, erwiderte ich, ganz erschreckt durch diese höchst ungewöhnliche Zumutung, »bitte, gebt mir auch einige Verhaltungsmaßregeln, wie ich mich benehmen muß – man erzählt allerhand so merkwürdige Geschichten von den Europäern, daß ich wirklich gar nicht weiß, wie ich zu Werke gehen soll?« – »Du hast sehr recht,« erwiderte Mirza Ahmak, »ihre Sitten und Gebräuche sind von den unseren total verschieden, ich sage dir – nur um dir eine Idee davon zu geben –, daß sie, anstatt den Kopf zu rasieren und sich den Bart wachsen zu lassen, wie wir es zu tun pflegen, ganz im Gegenteil auf ihren Gesichtern auch nicht die geringste Spur eines Haares dulden, dagegen das Haupthaar so dick auf dem Kopf wachsen lassen, als hätten sie ein Gelübde getan, es niemals zu schneiden; sie sitzen auf kleinen Erhöhungen, während wir auf dem Boden kauern, sie essen mit eisernen Krallen, während wir uns der Finger bedienen; sie laufen fortwährend herum, während wir die Ruhe lieben; sie tragen ganz enge Kleider, wir weite; sie schreiben von links nach rechts, wir von rechts nach links; sie beten niemals, wir fünfmal am Tage; kurz, man bis könnte in die Unendlichkeit von ihnen erzählen. Mit Gewißheit aber kann man behaupten, daß sie das schmutzigste, unappetitlichste Volk der Erde sind, für das nichts unrein ist. Ohne die leisesten Skrupel essen sie vom Schwein bis zur Schildkröte alle Tiere, ohne vorher die Gurgeln zu durchschneiden; sie werden einen menschlichen Leichnam zerstückeln, ohne sich nachher einer besonderen Reinigung zu unterziehen; sie verrichten alle menschlichen Funktionen, ohne es für nötig zu erachten, je in ein heißes Bad zu gehen oder sich nachher die Finger mit Sand abzureiben.«

»Und ist es richtig,« fragte ich, »daß, wenn einer zufällig Zweifel in die Lauterkeit ihrer Worte setzt und sie Lügner nennt, sie sich bei einem solchen Anlasse bekämpfen, bis sie sterben?«

»Auch das sagt man,« antwortete der Doktor; »allerdings, mir ist der Fall noch nicht vorgekommen. Immerhin aber warne ich dich ganz besonders davor: sage zu ihnen niemals, wenn sie irgend etwas in deinem Besitze bewundern, wie zu einem der Unseren: ›Ich will es dir schenken, es ist dein Eigentum‹ –; denn sie würden dich sofort beim Wort nehmen und es behalten, was dich, wie du weißt, in rechte Verlegenheit brächte, weil du doch nicht die Absicht hattest, etwas zu verschenken. Trachte nach Möglichkeit, zu sagen, was du denkst das lieben sie sehr.«

»Wenn aber das der Fall ist,« erwiderte ich, »glaubt Ihr nicht, der Franke wird dahinterkommen, daß mein Mund lügt, daß ich nur vorgebe, krank zu sein, und doch gesund bin – eine Arzenei für mich verlange, die ich für einen anderen nötig habe?«

»Nein – nein,« sprach Ahmak und umschlang mich mit einem Arme, »du mußt krank sein, weißt du, wirklich sehr krank! Dann ist es auch keine Lüge. Geh, mein Freund Hadschi, geh, iß deine Gurken so rasch wie nur möglich und bringe mir bis heute abend die Pille.« Er streichelte mich, ließ keinen Einwand gegen sein befremdendes Ansinnen gelten und schob mich schließlich freundlichst zur Tür hinaus. Als ich wegging, wußte ich wirklich nicht, ob ich über die neueste Wendung meiner Lage lachen oder weinen sollte! – Ohne eine ganz sichere Belohnung konnte ich mich nicht darauf einlassen, krank zu werden, kehrte deshalb um und wollte ganz klar mit meinem Herrn verhandeln; als ich aber das Zimmer abermals betrat, war er nicht mehr anwesend und hatte sich aller Wahrscheinlichkeit nach in seinen Harem zurückgezogen –, und ich war genötigt, seinem verrückten Auftrage nachzugehen.

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