Achtzehntes Kapitel - Hadschi im Hause des Doktors
Sobald mich der Doktor erblickte, hieß er mich in sein
Zimmer treten und bat mich, Platz zu nehmen, was ich mit jener
Unterwürfigkeit tat, die der gute Ton dem Untergebenen
vorschreibt, wenn ihm ein Höhergestellter eine so große Ehre
erweist. Er teilte mir mit, wie günstig sich der Poet über
mich geäußert und gesagt habe, ich sei, besonders was
Verschwiegenheit und Klugheit anbeträfe, eine ganz
zuverlässige Persönlichkeit, hätte viel im Leben gesehen, wäre
niemals um Auswege verlegen und behandelte mir anvertraute
Angelegenheiten, die Umsicht und Geheimhaltung erforderten,
mit der allergrößten Geschicklichkeit. Als er so sprach,
verbeugte ich mich zu wiederholten Malen, hielt meine von den
Ärmeln bedeckten Hände gegen den Magen gedrückt, achtete auch
darauf, meine Füße möglichst zu verbergen. Er fuhr fort:
»Gerade in diesem Augenblicke benötige ich eine
Persönlichkeit, die jene Eigenschaften, die mir Asker an dir
rühmte, wirklich besitzt; und da ich unbedingtes Vertrauen in
meinen Freund setze, beabsichtige ich von deiner
Geschäftsgewandtheit Gebrauch zu machen. Entsprechen deine
Erfolge meinen gehegten Erwartungen, so sei versichert, daß du
es gut haben sollst und ich deiner Dienste stets eingedenk
bleiben werde.«
Dann bat er mich, näher zu treten, schaute sich ängstlich
um, als fürchtete er einen Lauscher, und sagte in leisem
vertraulichen Tone: »Hadschi, du wirst sicher gehört haben,
daß vor kurzem ein fränkischer Gesandter am Hofe eintraf und
sich in seinem Gefolge auch ein Arzt befindet. Dieser
Ungläubige hat sich hier schon einen ganz bedeutenden Ruf
erworben. Er behandelt seine Patienten auf eine uns gänzlich
unbekannte Manier, kam mit einer Kiste voll von Heilmitteln
an, deren Namen wir niemals gehört haben, besitzt angeblich
mannigfaltige Kenntnisse von Dingen, über die wir in Persien
noch gar nichts wissen, macht keinerlei Unterschied zwischen
kalten und warmen Krankheiten, heißen und kalten Mitteln, wie
sie Galenus und Avicenna verordneten, gibt aber Merkur anstatt
kühlender Arznei; sticht gegen Gase im Magen mit einem spitzen
Instrumente in den Bauch und – was das Schlimmste von allem
ist – behauptet, die schwarzen Blattern einfach durch einen
Extrakt der Kuh, der dem menschlichen Körper eingeflößt wird,
aus der Welt zu schaffen, eine Entdeckung, die kürzlich einer
ihrer Philosophen gemacht hat. Hadschi, das darf nicht sein! –
Die schwarzen Blattern waren mir eine so bequeme
Einnahmequelle, die ich nicht entbehren will, weil es einem
Ungläubigen beliebt, hierherzukommen und so zu tun, als wären
wir Perser nur Ochsen! – Der Grund aber, warum ich deines
Beistandes in diesem Augenblick ganz besonders bedarf, ist
folgendes Vorkommnis. Vor zwei Tagen befiel den Großwesir,
nachdem er weit mehr als die gewohnte Portion rohen Lattich
und Gurken, in Essig und Zucker getunkt, gegessen hatte, ein
ungemein heftiges Übelbefinden. Dies kam dem fränkischen
Gesandten, der anwesend war, als der Großwesir den Salat
verspeiste, zu Ohren. Er sandte ihm hierauf sofort seinen Arzt
mit der Bitte, dem Kranken Erleichterung verschaffen zu
dürfen. Die Beziehungen zwischen dem Großwesir und dem
Botschafter waren anscheinend in der jüngsten Zeit nicht die
besten, weil letzterer sehr dringend eine politische Maßnahme
forderte, die der Großwesir in Erwägung der persischen
Interessen die Pflicht hatte abzuschlagen. Nun dachte dieser,
die Dienste des fränkischen Arztes anzunehmen, sei eine famose
Gelegenheit, um einen Kompromiß zu schließen und den
Ungläubigen zu beschwichtigen. Wäre ich nur zur rechten Zeit
von allem unterrichtet worden, hätte ich diese Vorkommnisse
leicht verhindern können. Der Doktor verlor natürlich keine
Minute, sein Mittel zu verabreichen, das, wie ich höre, nur in
einer kleinen weißen Pille ohne jeden Geschmack bestand.
Entgegen allen Erwartungen, und weil es das Unglück wollte,
soll die Wirkung eine verblüffend wunderbare gewesen sein. Der
Großwesir fühlte eine derartige Erleichterung, daß er von
nichts anderem mehr spricht, und behauptet, er habe deutlich
gefühlt, wie die Pille bis in die Fingerspitzen alle
Schädlichkeiten aus seinem Körper zog; er empfindet nun mit
einem Male so eine Verjüngung seiner Kräfte, daß er, seinem
hohen Alter zum Hohne, davon spricht, seinen Harem bis zur
Zahl der ihm vom heiligen Propheten erlaubten Frauen zu
vergrößern. Aber damit ist diese Unglücksgeschichte noch nicht
zu Ende. Der ganze Hof ist jetzt nur damit beschäftigt, von
der wunderbaren Arznei des fränkischen Arztes zu reden, und
heute morgen beim Selam war das erste Gespräch
Seiner Majestät, die ans Wunderbare grenzenden Eigenschaften
des Arztes zu rühmen. Er veranlaßte den Großwesir, ihm alles,
was er schon berichtet hatte, nochmals zu wiederholen. Als
dieser aber betonte, welche Wunderdinge bei ihm zutage traten,
da durchlief die ganze Versammlung ein vernehmbares Gemurmel
der höchsten Anerkennung und Bewunderung. Seine Majestät
wandte sich mir zu und verlangte eine Erklärung, wodurch ein
so winziges Ding eine so große Wirkung hervorbringen könne? Zu
einer Antwort gezwungen, verbeugte ich mich, um meine
Verwirrung zu bemänteln, so tief wie nur möglich, küßte die
Erde und sprach: ›O König der Könige, noch habe ich das Gift,
welches der fremde Arzt dem Großwesir verabreichte, nicht in
Augenschein nehmen können; sobald dies aber geschehen, will
ich Eure Majestät in Kenntnis setzen, welches seine
Bestandteile sind. Indessen steht Euer demütiger Sklave den
Mittelpunkt des Weltalls an, zu bedenken, daß in diesem Falle
die wirksame Kraft, weil sie ein Werkzeug in der Hand eines
Ungläubigen ist, eines Feindes unseres wahren Bekenntnisses,
der den heiligen Propheten einen Betrüger schilt und die
ewigen Gesetze der Vorherbestimmung leugnet, ein böser,
unserem heiligen Glauben feindseliger Geist sein muß.‹
»Das sagte ich, um den wachsenden Ruhm des Fremden zu
untergraben, zog mich dann zurück und sann lange darüber nach,
wie ich in die Geheimnisse des Ungläubigen eindringen,
hauptsächlich aber das Wesentliche seiner Verordnungen, die
solche Wunder wirken, ergründen könnte. Darum, Hadschi, kommt
mir dein Beistand so ungemein gelegen. Du mußt sofort die
Bekanntschaft des Arztes machen; ich überlasse es deiner
Gewandtheit, ihm langsam und mit Bedacht die Würmer aus der
Nase zu ziehen und möglichst viel aus ihm herauszulocken. Da
ich aber vor allem wünsche, eine Probepille zu erhalten, um
den Schah darüber berichten zu können, muß deine erste
Dienstleistung damit beginnen, eine große Menge rohen Lattichs
und Gurken zu essen, um mindestens ebenso krank zu werden, wie
der Großwesir es war. Du mußt dich in deiner Not an den
fremden Arzt wenden, der dir zweifelsohne ein Duplikat jener
berühmten Pillen verabreichen wird, die du mir dann
aushändigst.« »Aber«, erwiderte ich, ganz erschreckt durch
diese höchst ungewöhnliche Zumutung, »bitte, gebt mir auch
einige Verhaltungsmaßregeln, wie ich mich benehmen muß – man
erzählt allerhand so merkwürdige Geschichten von den
Europäern, daß ich wirklich gar nicht weiß, wie ich zu Werke
gehen soll?« – »Du hast sehr recht,« erwiderte Mirza Ahmak,
»ihre Sitten und Gebräuche sind von den unseren total
verschieden, ich sage dir – nur um dir eine Idee davon zu
geben –, daß sie, anstatt den Kopf zu rasieren und sich den
Bart wachsen zu lassen, wie wir es zu tun pflegen, ganz im
Gegenteil auf ihren Gesichtern auch nicht die geringste Spur
eines Haares dulden, dagegen das Haupthaar so dick auf dem
Kopf wachsen lassen, als hätten sie ein Gelübde getan, es
niemals zu schneiden; sie sitzen auf kleinen Erhöhungen,
während wir auf dem Boden kauern, sie essen mit eisernen
Krallen, während wir uns der Finger bedienen; sie laufen
fortwährend herum, während wir die Ruhe lieben; sie tragen
ganz enge Kleider, wir weite; sie schreiben von links nach
rechts, wir von rechts nach links; sie beten niemals, wir
fünfmal am Tage; kurz, man bis könnte in die Unendlichkeit von
ihnen erzählen. Mit Gewißheit aber kann man behaupten, daß sie
das schmutzigste, unappetitlichste Volk der Erde sind, für das
nichts unrein ist. Ohne die leisesten Skrupel essen sie vom
Schwein bis zur Schildkröte alle Tiere, ohne vorher die
Gurgeln zu durchschneiden; sie werden einen menschlichen
Leichnam zerstückeln, ohne sich nachher einer besonderen
Reinigung zu unterziehen; sie verrichten alle menschlichen
Funktionen, ohne es für nötig zu erachten, je in ein heißes
Bad zu gehen oder sich nachher die Finger mit Sand
abzureiben.«
»Und ist es richtig,« fragte ich, »daß, wenn einer zufällig
Zweifel in die Lauterkeit ihrer Worte setzt und sie Lügner
nennt, sie sich bei einem solchen Anlasse bekämpfen, bis sie
sterben?«
»Auch das sagt man,« antwortete der Doktor; »allerdings,
mir ist der Fall noch nicht vorgekommen. Immerhin aber warne
ich dich ganz besonders davor: sage zu ihnen niemals, wenn sie
irgend etwas in deinem Besitze bewundern, wie zu einem der
Unseren: ›Ich will es dir schenken, es ist dein Eigentum‹ –;
denn sie würden dich sofort beim Wort nehmen und es behalten,
was dich, wie du weißt, in rechte Verlegenheit brächte, weil
du doch nicht die Absicht hattest, etwas zu verschenken.
Trachte nach Möglichkeit, zu sagen, was du denkst das lieben
sie sehr.«
»Wenn aber das der Fall ist,« erwiderte ich, »glaubt Ihr
nicht, der Franke wird dahinterkommen, daß mein Mund lügt, daß
ich nur vorgebe, krank zu sein, und doch gesund bin – eine
Arzenei für mich verlange, die ich für einen anderen nötig
habe?«
»Nein – nein,« sprach Ahmak und umschlang mich mit einem
Arme, »du mußt krank sein, weißt du, wirklich sehr krank! Dann
ist es auch keine Lüge. Geh, mein Freund Hadschi, geh, iß
deine Gurken so rasch wie nur möglich und bringe mir bis heute
abend die Pille.« Er streichelte mich, ließ keinen Einwand
gegen sein befremdendes Ansinnen gelten und schob mich
schließlich freundlichst zur Tür hinaus. Als ich wegging,
wußte ich wirklich nicht, ob ich über die neueste Wendung
meiner Lage lachen oder weinen sollte! – Ohne eine ganz
sichere Belohnung konnte ich mich nicht darauf einlassen,
krank zu werden, kehrte deshalb um und wollte ganz klar mit
meinem Herrn verhandeln; als ich aber das Zimmer abermals
betrat, war er nicht mehr anwesend und hatte sich aller
Wahrscheinlichkeit nach in seinen Harem zurückgezogen –, und
ich war genötigt, seinem verrückten Auftrage nachzugehen.