Zwölftes Kapitel - Hadschis Erkrankung und Heilung. – Er
erzählt eine Geschichte
Als ich die Tore von Meschhed im Rücken und die Straße nach
Teheran vor mir hatte, schüttelte ich den Kragen meines Rockes
und rief: »Möge der Himmel euch Ungemach senden!« – Mein
Reisegefährte, Derwisch Sefer, dachte ganz in meinem Sinne
über Meschheds Bewohner, und so machten wir unserem Ingrimm
gemeinsam Luft, ich, weil die Prügelstrafe über mich verhängt
worden war, er, weil er durch die Verfolgung der Mollas viel
gelitten hatte. »Was Euch anbelangt, mein Freund,« sagte er zu
mir, »so seid Ihr noch so jung und müßt noch manches
durchmachen, ehe Ihr die zum Leben nötige Erfahrung gesammelt
habt. Murret nicht bei der ersten Niederlage, sie wird Euch
wahrscheinlich vor vielen anderen bewahren und Euch ein
anderes Mal lehren, selbst unter dicken Frauenschleiern einen
Mohtesib zu erkennen. Aber daß ein Mann in meinen Jahren, der
so viel von der Welt gesehen hat, sich gezwungen sieht, sein
Wanderleben abermals aufzunehmen, das ist in der Tat ein
wirkliches Unglück.«
»Und doch,« erwiderte ich, »wenn Ihr nur gewollt hättet, es
müßte Euch ein leichtes gewesen sein, in Meschhed zu
verbleiben. Durch regelmäßige Verrichtung Eurer Gebete und
Waschungen konntet Ihr dem Argwohn der Mollas Trotz bieten.«
»Das ist allerdings sehr richtig,« sagte der Derwisch;
»doch seht, das Fest des Ramasan, wo sie mich noch weit
schärfer beobachtet hätten, naht heran. Weil ich aber weder
fasten kann, noch fasten mag, das Rauchen mir so nötig ist wie
frische Luft oder Wein, so fand ich es weit klüger, auf die
Wanderschaft zu gehen, da das Gebot den Reisenden vom Fasten
entbindet. Möglicherweise wäre es mir auch gelungen,
die Mollas zu täuschen, wie früher, wo ich ebenfalls heimlich
rauchte und aß. Aber eine so bekannte Persönlichkeit, wie ich
nun einmal bin, die nur vom Rufe ihrer scheinbar großen
Heiligkeit lebt, darf sich, wenn sie sich scharf überwacht
weiß, solche Freiheiten nicht herausnehmen.«
In Semnan fühlte ich solche Schmerzen im Rückgrate, daß es
mir ganz unmöglich gewesen wäre, mit der Karawane
weiterzureisen, und beschloß daher, hier meine
Wiederherstellung abzuwarten. Derwisch Sefer, den es nach Wein
und anderen Herrlichkeiten der Hauptstadt gelüstete, setzte
seine Reise fort.
Am äußersten Ende der Stadt fand ich einen Unterschlupf in
einem leeren Grabgewölbe, breitete dort mein Ziegenfell in
einer Ecke aus und kündigte nach der landesüblichen Weise
reisender Derwische meine Ankunft an durch kräftiges Blasen in
mein Horn und die laut vernehmbaren Ausrufe: »Hak! – Hû! –
Allaho Akbar!« – Meiner äußeren Erscheinung gab ich den
Anschein wildester Verwegenheit und konnte mir schmeicheln,
meiner Erziehung zur Verstellungskunst alle Ehre zu machen. Es
besuchten mich viele Frauen und bezahlten mit Früchten, Honig,
Milch und andern Lappalien die Talismane, die ich ihnen
schreiben mußte. Da begann mein Rückgrat mir abermals solche
Schmerzen zu verursachen, daß ich mich genötigt sah, Umfrage
zu halten, ob nicht jemand in der Stadt mir helfen könne. Der
Barbier und der Hufschmied waren die einzigen, denen einige
medizinische Kenntnisse zuerkannt wurden. Der Barbier war
geschickt bei Aderlassen, konnte Zähne ziehen, gebrochene
Glieder einrichten; der Hufschmied aber, der als Roßarzt eine
reiche Erfahrung besaß, wurde des öfteren auch bei
menschlichen Schmerzen zu Rate gezogen. Ferner gab es noch ein
altes Weib, hexenhaft und vom Alter gebeugt, die in allen
Fällen, wo die Kunst des Barbiers und des Hufschmieds
versagte, als Orakel befragt wurde. Sie besaß eine große
Anzahl von Geheimtränkchen und Rezepte für alle Gebrechen der
Menschheit. Alle, die nach und nach zu mir kamen, waren
darüber einig, die Störung bei mir rühre von einer Erkältung
her, das Kälteste müßte mit dem Wärmsten bekämpft werden.
Daher sollte der Schmied, in Anbetracht seiner Hantierung mit
heißem Eisen, meinen Rücken direkt brennen. Er brachte zu dem
Zwecke eine Kohlenpfanne, einen Blasebalg und einige spitze
Eisen mit, machte in einer Ecke Feuer und erhitzte die
Marterinstrumente. Als sie rot glühten, wurde ich flach aufs
Gesicht zu Boden gelegt und mein Rücken mit feierlichem Ernste
mit dem glühenden Eisen gesengt. Bei jeder Berührung riefen
die Umstehenden in tiefster Inbrunst: » Khoda shefa, Dehed!«
(Möge Gott ihm helfen!) Während mich die vereinte Wissenschaft
meiner beiden Ärzte an dreizehn verschiedenen Stellen brannte,
wurden nicht nur alle Propheten, sondern auch alle zwölf Imâms
angerufen. Als diese höchst grausame Behandlung zur Hälfte
überstanden war, begann ich vor Schmerzen zu heulen. Meine
Peiniger ließen mich aber nicht eher los, bis ich die ganze
Kur erduldet hatte. Die Heilung meiner schweren Wunden konnte
nur die vollkommenste Ruhe erzielen. Ich blieb darum geraume
Zeit an meine Zelle gebannt, mein Rücken war aber daraufhin
ganz hergestellt, und mein Körper erlangte wieder alle seine
Kräfte. Selbstverständlich wurde meine Genesung den dreizehn
Heiligen zugeschrieben, unter deren Anrufung die Operation so
gut gelungen; und die ganze Stadt war mehr denn je von der
Heilkraft glühenden Eisens überzeugt. Ich selbst nahm an, die
Ruhe sei mein bester Arzt gewesen, behielt diese Ansicht aber
wohlweislich für mich und hatte nichts dagegen, die Welt im
Glauben zu erhalten, ich stünde unter dem besonderen Schutze
dieser großen Anzahl auserlesener Heiliger. Ich faßte den
Entschluß, meine Reise nach Teheran fortzusetzen, wollte
jedoch, ehe ich als Derwisch auftrat, der Bevölkerung Semnans
eine Probe meines Talentes als Märchenerzähler geben.
Demzufolge begab ich mich nahe dem Eingange des Basars auf
einen kleinen, freien Platz, der zur Mittagszeit von
Faulenzern wimmelte, kündigte laut nach herkömmlichem Brauche
mein Vorhaben an; und gar bald ließ sich ein rasch
versammelter Schwarm von Zuhörern auf dem für meinen Vortrag
extra ausgesuchten Platze nieder. Glücklicherweise fiel mir
die Geschichte eines Barbiers aus Bagdad ein, die ich zu einer
Zeit vernommen, als ich selbst noch dies Gewerbe ausübte.
Inmitten eines Kreises von Tölpeln und Gesindel, das
erwartungsvoll die Augen aufriß und die Mäuler weit
aufsperrte, begann ich mein Debüt mit folgenden Worten: »Unter
der Regierung des Kalifen Harun-al-Raschid, glückseligen
Angedenkens, lebte in Bagdad ein Barbier namens Ali Sakal. Er
war so berühmt ob seiner sicheren Hand und seiner
Geschicklichkeit, daß er mit verbundenen Augen einen Kopf
rasieren und einen Bart stutzen konnte, ohne daß ein Tropfen
Blut floß. Er bediente alle, die etwas auf sich hielten, und
bekam bald einen so großen Zulauf, daß er hochmütig und
anmaßend wurde und keinen Kopf mehr berühren wollte, so dieser
nicht wenigstens einem Bey oder Aga gehörte. Holz zum
Einheizen war in Bagdad stets teuer und selten; und da der
Barbier sehr viel Holz in seinem Laden verbrauchte, so
schafften die Holzhauer, die er immer rasch und sicher
bezahlte, mit Vorliebe ihre Ladungen zu ihm. Da geschah es
eines Tages, daß ein armer, unerfahrener Holzhauer, der die
Tücke Ali Sakals nicht kannte, in den Laden ging und seine
Ladung Holz zum Kaufe anbot, die sein Esel gar weit vom Lande
hergeschleppt hatte. Ali machte sogleich einen Preis mit den
Worten: ›Für alles Holz, was der Esel trägt‹ – Der Holzhauer
war einverstanden, entlud das Tier und verlangte das Geld.
›Noch habe ich nicht alles Holz bekommen‹ sagte der Barbier,
›bei dem Geschäfte ist auch der hölzerne Packsattel
mitinbegriffen, so wenigstens lautete unsere Abmachung!‹ –
›Hör ich recht‹ antwortete der andere, ›so ein Handel ist ja
unerhört, ganz unmöglich!‹ – Kurz, nach vielem Gerede und
vielem Streite nahm der übermütige Barbier den Packsattel
nebst dem Holz und schickte dann den armen, niedergeschlagenen
Bauern einfach fort. Dieser rannte eilends zum Kadi und setzte
diesen von seinen traurigen Erlebnissen in Kenntnis. Der Kadi,
ein Kunde des Barbiers, weigerte sich, den Fall anzuhören. Der
Holzhauer rief einen höherstehenden Richter an, aber auch der
begünstigte Ali Sakal und trachtete, die Sache von der
scherzhaften Seite zu nehmen. Da wendete sich der arme
Betrogene an den Mufti selbst, der nach Erwägung der
Streitfrage darlegte, der Fall sei zu schwer für ihn zu
entscheiden, im Koran stände darüber keine
Verhaltungsmaßregel, er müsse sich über den Schaden trösten.
Der Holzhacker, der sich trotz alledem nicht entmutigen ließ,
nahm einen Schreiber, der eine Eingabe an den Kalifen selbst
verfaßte, die der Bittsteller, wie vorgeschrieben, an einem
Freitage, wenn der Kalif mit Pomp zur Moschee reitet, diesem
selbst überreichen muß. Wie pünktlich der Kalif alle
Bittschriften prüfte, ist bekannt. Darum währte es nicht
lange, daß der Holzhauer zu ihm gerufen wurde. Als sich dieser
dem Kalifen näherte, kniete er nieder, küßte den Boden,
streckte die Arme gerade aus, die Hände von den Ärmeln seines
Mantels bedeckt, die Füße eng aneinander geschmiegt, und
erwartete in dieser demütigen, von der guten Sitte
vorgeschriebenen Haltung die Entscheidung seines Falles. ›Mein
Freund,‹ sprach der Kalif, ›für den Barbier spricht der
Wortlaut, für dich die Gerechtigkeit. Das Gesetz muß mit
Worten ausgelegt werden – Verträge müssen mit Worten abgefaßt
werden – das Gesetz muß in Kraft treten, sonst ist es nichtig
– Verträge müssen eingehalten werden, sonst könnte kein Mensch
mehr dem andern vertrauen; – demzufolge darf der Barbier alles
Holz, selbst den Packsattel behalten; aber‹ – dann flüsterte
der Kalif dem Holzhauer, den er ganz nahe zu sich hergerufen
hatte, etwas ins Ohr, das sonst niemand erlauschen konnte –
und der Holzhauer, der wieder ganz hoffnungsfreudig
dreinschaute, war entlassen.«
Hier ließ ich in meiner Erzählung eine Pause eintreten,
nahm einen kleinen Zinnbecher in die Hand und sagte: »Nun,
meine hohen Zuhörer, schenkt mir etwas, dann verrate ich euch,
was der Kalif dem Holzhauer ins Ohr flüsterte.« Ich hatte die
Neugierde meiner Zuhörer so zu steigern gewußt, daß nur wenige
der Anwesenden versäumten, mir ein oder das andere Geldstück
zu geben. »Also gut,« sagte ich; »was der Kalif dem Holzhauer
ins Ohr flüsterte, wie er es anstellen müsse, um vom Barbier
Genugtuung zu erlangen, werde ich euch jetzt alsogleich
erzählen. Nachdem der Holzhauer seine tiefen Verbeugungen
gemacht hatte, nahm er seinen Esel, der draußen angebunden
war, beim Halfter und ging heim. Einige Tage später sprach er
beim Barbier vor, als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen
wäre, und sagte, er und sein Begleiter vom Land möchten sich
auch einmal seiner so berühmt geschickten Hand erfreuen. Der
Preis für die zweimalige Hantierung wurde genau festgesetzt.
Als des Holzhackers Kopf glatt und herrlich geschoren war,
fragte Ali Sakal, wo denn sein Begleiter bliebe? ›Der steht
gerade draußen‹, meinte der Holzhauer, ›und wird gleich
hereinkommen‹, ging hierauf vor die Tür und führte den Esel
hinter sich herein. ›Das ist mein Gefährte, den du jetzt
rasieren sollst!‹ – ›Ihn rasieren?‹ schrie der Barbier in
ärgerlicher Verwunderung. – ›Ist es denn nicht genug, daß ich
mich erniedrigte. Euch selbst anzufassen? – Jetzt wollt Ihr
mir noch den Schimpf antun, mir zuzumuten, Euren Esel zu
rasieren? Packt Euch oder ich schicke Euch nach Dschahannam
– und warf die beiden zum Laden hinaus. Der
Holzhauer eilte zum Kalifen, wurde vorgelassen und erzählte
sein Erlebnis. ›Es ist gut,‹ sprach der Beherrscher aller
Gläubigen. ›Bringt augenblicklich Ali Sakal samt seinen
Rasiermessern zu mir!‹ Nach zehn Minuten stand der Barbier vor
dem Kalifen. ›Warum weigert Ihr Euch, den Begleiter dieses
Mannes zu rasieren?‹ fragte der Kalif. ›War das nicht vorher
so abgemacht?‹ Ali küßte den Boden und antwortete: ›Wahrlich,
o Kalif, so war unsere Vereinbarung, aber wer hatte je einen
Esel als Gefährten oder dachte je daran, ihn wie einen
Rechtgläubigen zu behandeln?‹ ›Ihr möget recht haben,‹ sprach
der Kalif, ›aber wer dachte je daran, darauf zu bestehen, der
Packsattel gehöre zum Holze, das darauf geladen war? Nun ist
die Reihe am Holzhacker. Nehmt gleich den Esel vor, oder Ihr
lernt schlimme Folgen kennen!‹ Der Barbier sah sich genötigt,
eine große Menge Seifenschaum zu bereiten, das Tier vom Kopfe
bis zum Schwanze einzuseifen und in Gegenwart des Kalifen und
des ganzen Hofes unter dem Hohn- und Spottgelächter aller
Umstehenden zu rasieren. Der arme Holzhacker jedoch wurde mit
einem angemessenen Geldgeschenke entlassen. Ganz Bagdad
erzählte sich die Geschichte und rühmte die Gerechtigkeit und
Weisheit des Beherrschers aller Gläubigen.«