Drittes Kapitel - Hadschi in der Gefangenschaft der
Turkmenen
Als die Verteilung der Gefangenen stattfand, fielen mein
Herr und ich glücklicherweise vereint in die Gewalt des
riesenhaften, vorhin erwähnten Turkmenen, der Sultan Aslan oder das »Löwenhaupt« genannt wurde und ein großes
Zeltlager befehligte, das wir alsbald erreichten. Bei unserer
Ankunft verließ alles die Zelte, um die Gefangenen in
Augenschein zu nehmen. Während lautes Freudengebrüll die
Sieger empfing, liefen wir Gefahr, von einem Rudel wütend
bellender, großer Schäferhunde, die in uns die Fremden
witterten, zerrissen zu werden. Bisher verdankte mein Herr der
grünen Turbanschärpe einige Rücksichten. Kaum aber war die »Banu«
oder die Hauptfrau des Sultans ihrer ansichtig geworden, so
überkam sie ein unwiderstehliches Gelüste nach diesem seltenen
Kleinode. Dem armen Osman verblieb allerdings das schmucklose
Turbangerüste, das seine ganze Habe barg. Doch auch dieses
reizte ein anderes Weib, das den Packsattel, der ihr Kamel
gedrückt hatte, damit zu wattieren gedachte. Trotz aller
verzweifelten Anstrengungen Osmans wurde seine Kopfbedeckung
rücksichtslos zu anderen Lumpen in eine Ecke des Frauenzeltes
geworfen. Als Ersatz stülpte man ihm eine alte Lammfellmütze
auf den Kopf, einst das Eigentum eines Leidensgefährten, der
vor kurzem aus Gram und Elend in der Gefangenschaft gestorben
war. Dem mit der Mütze des Toten geschmückten Osman tat man zu
wissen, er sei fortan bestimmt, Kamele in den Bergen zu hüten,
da seine Leibesfülle und Unbeweglichkeit die Gefahr des
Davonlaufens ausschlösse. Ich durfte die Zelte nicht verlassen
und mußte lederne Beutel schütteln, in denen die Turkmenen aus
fetter, saurer Milch Butter bereiten.
Zur Feier des glücklich vollführten Raubzuges lud der
Sultan das ganze Lager zu einem nach turkmenischen Begriffen
üppigen Festmahle ein. Der Reis wurde in enormen Kesseln
gekocht und zwei ganze Schafe gebraten. Zuerst aßen die
Männer, dann wurden die Speisen zu den Frauen getragen; was
diese nicht verzehrten, bekamen die Hirtenjungen. Nachdem
diese sich tüchtig vollgestopft hatten, verblieben für die
Gefangenen und die Hunde abgenagte Knochen und Schüsseln zum
Auskratzen. Ganz matt vor Hunger wartete auch ich sehnsüchtig
auf einen Bissen. Da nickte mir eines der Weiber verstohlen
zu, setzte hinter ein schützendes Zelt eine Schüssel mit Reis,
auf dem ein Stück Hammelschwanz lag, und flüsterte mir zu,
dies sende mir die Banu, die mit meinem Schicksale Mitleid
fühle; ich aber solle guten Mutes bleiben. Ohne meinen Dank
abzuwarten, huschte das Weib hinweg. Dieser Beweis
unerwarteten Wohlwollens erweckte mir so tröstliche Gedanken,
daß ich meine Lage nicht mehr als ganz hoffnungslos
betrachtete. Umsonst aber bemühte ich mich, Osman Agas
Verzweiflung mit dem Spruche: »Allah kerim« (Gott ist gütig),
der jedes wahren Muselmannes bester Trost im Ungemache ist, zu
mildern. Ohne Unterlaß beklagte er sein hartes Los.
»Allah kerim«, rief ich wieder. »Allah kerim! – Allah kerim!«
brummte er mürrisch in seinen Bart. »Das ist gut für Leute
deines Schlages, die nichts zu verlieren hatten, während ich,
der frühere Reiche, für alle Zeiten ein ruinierter Mann bin.«
Er konnte sich gar nicht über die Verluste trösten, die er
durch seine Gefangennahme erlitt, und verbrachte seine Zeit
damit, bis aufs kleinste den Profit auszurechnen, der ihm
entgangen war. Der Zeitpunkt unserer Trennung nahte heran. Der
Sultan schickte Osman als Hüter von fünfzig Kamelen in die
Berge, mit der furchtbaren Drohung, der Verlust eines Tieres
bedeute für ihn abgeschnittene Ohren und eine abgeschnittene
Nase, der Wert des Kamels aber würde zu seinem hohen Lösegeld
geschlagen. Einmal noch setzte ich meinen ehemaligen Herrn auf
einen Packsattel, holte Wasser aus der nahen Quelle, nahm ein
Stückchen Seife, das ich samt den Rasiermessern aus den
Trümmern unserer einstigen Habe gerettet hatte, und rasierte
als letzten Beweis meiner Zuneigung, angesichts des ganzen
Lagers, seinen Kopf. Gar bald ward ich inne, daß die
Schaustellung meiner Geschicklichkeit sich für meine
Zukunftspläne als ungemein förderlich erweisen sollte. In der
Tat wollte nun jeder, der einen Kopf und Haare hatte, von mir
rasiert werden. Mein Ruhm drang alsbald zum Ohre des Sultans,
der mich rufen ließ und mir befahl, sein Haupt sofort in
Angriff zu nehmen. Blitzschnell bearbeitete ich seinen von
Narben durchquerten großen Schädel, dessen Haarwuchs so
struppig war wie das Fell der Schäferhunde. Der Sultan, dessen
Haar gewöhnlich nur geschnitten wurde, wahrscheinlich mit der
gleichen Schere, die zum Scheren der Schafe diente, der nicht
ahnte, daß es noch einen größeren Luxus gäbe, als sich von
einem tölpelhaften, barbarischen Dorfbarbier verstümmeln zu
lassen, fühlte sich unter meinen geschickten Händen geradezu
ins Paradies versetzt. Freimütig lobte er meine
Geschicklichkeit, schwor laut, niemals, selbst nicht das
größte Lösegeld für mich zu nehmen, und ernannte mich
feierlich zu seinem Leibbarbier. Ich kniete nieder, küßte
seinen Mantel mit allen äußeren Zeichen ehrfurchtsvollster
Dankbarkeit, war innerlich aber fest entschlossen, meine
größere Bewegungsfreiheit und das Vertrauen, das er mir
schenkte, bei der nächsten Gelegenheit zur Flucht zu benutzen.