Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Drittes Kapitel - Hadschi in der Gefangenschaft der Turkmenen

Als die Verteilung der Gefangenen stattfand, fielen mein Herr und ich glücklicherweise vereint in die Gewalt des riesenhaften, vorhin erwähnten Turkmenen, der Sultan Aslan oder das »Löwenhaupt« genannt wurde und ein großes Zeltlager befehligte, das wir alsbald erreichten. Bei unserer Ankunft verließ alles die Zelte, um die Gefangenen in Augenschein zu nehmen. Während lautes Freudengebrüll die Sieger empfing, liefen wir Gefahr, von einem Rudel wütend bellender, großer Schäferhunde, die in uns die Fremden witterten, zerrissen zu werden. Bisher verdankte mein Herr der grünen Turbanschärpe einige Rücksichten. Kaum aber war die »Banu« oder die Hauptfrau des Sultans ihrer ansichtig geworden, so überkam sie ein unwiderstehliches Gelüste nach diesem seltenen Kleinode. Dem armen Osman verblieb allerdings das schmucklose Turbangerüste, das seine ganze Habe barg. Doch auch dieses reizte ein anderes Weib, das den Packsattel, der ihr Kamel gedrückt hatte, damit zu wattieren gedachte. Trotz aller verzweifelten Anstrengungen Osmans wurde seine Kopfbedeckung rücksichtslos zu anderen Lumpen in eine Ecke des Frauenzeltes geworfen. Als Ersatz stülpte man ihm eine alte Lammfellmütze auf den Kopf, einst das Eigentum eines Leidensgefährten, der vor kurzem aus Gram und Elend in der Gefangenschaft gestorben war. Dem mit der Mütze des Toten geschmückten Osman tat man zu wissen, er sei fortan bestimmt, Kamele in den Bergen zu hüten, da seine Leibesfülle und Unbeweglichkeit die Gefahr des Davonlaufens ausschlösse. Ich durfte die Zelte nicht verlassen und mußte lederne Beutel schütteln, in denen die Turkmenen aus fetter, saurer Milch Butter bereiten.

Zur Feier des glücklich vollführten Raubzuges lud der Sultan das ganze Lager zu einem nach turkmenischen Begriffen üppigen Festmahle ein. Der Reis wurde in enormen Kesseln gekocht und zwei ganze Schafe gebraten. Zuerst aßen die Männer, dann wurden die Speisen zu den Frauen getragen; was diese nicht verzehrten, bekamen die Hirtenjungen. Nachdem diese sich tüchtig vollgestopft hatten, verblieben für die Gefangenen und die Hunde abgenagte Knochen und Schüsseln zum Auskratzen. Ganz matt vor Hunger wartete auch ich sehnsüchtig auf einen Bissen. Da nickte mir eines der Weiber verstohlen zu, setzte hinter ein schützendes Zelt eine Schüssel mit Reis, auf dem ein Stück Hammelschwanz lag, und flüsterte mir zu, dies sende mir die Banu, die mit meinem Schicksale Mitleid fühle; ich aber solle guten Mutes bleiben. Ohne meinen Dank abzuwarten, huschte das Weib hinweg. Dieser Beweis unerwarteten Wohlwollens erweckte mir so tröstliche Gedanken, daß ich meine Lage nicht mehr als ganz hoffnungslos betrachtete. Umsonst aber bemühte ich mich, Osman Agas Verzweiflung mit dem Spruche: »Allah kerim« (Gott ist gütig), der jedes wahren Muselmannes bester Trost im Ungemache ist, zu mildern. Ohne Unterlaß beklagte er sein hartes Los.

»Allah kerim«, rief ich wieder. »Allah kerim! – Allah kerim!« brummte er mürrisch in seinen Bart. »Das ist gut für Leute deines Schlages, die nichts zu verlieren hatten, während ich, der frühere Reiche, für alle Zeiten ein ruinierter Mann bin.«

Er konnte sich gar nicht über die Verluste trösten, die er durch seine Gefangennahme erlitt, und verbrachte seine Zeit damit, bis aufs kleinste den Profit auszurechnen, der ihm entgangen war. Der Zeitpunkt unserer Trennung nahte heran. Der Sultan schickte Osman als Hüter von fünfzig Kamelen in die Berge, mit der furchtbaren Drohung, der Verlust eines Tieres bedeute für ihn abgeschnittene Ohren und eine abgeschnittene Nase, der Wert des Kamels aber würde zu seinem hohen Lösegeld geschlagen. Einmal noch setzte ich meinen ehemaligen Herrn auf einen Packsattel, holte Wasser aus der nahen Quelle, nahm ein Stückchen Seife, das ich samt den Rasiermessern aus den Trümmern unserer einstigen Habe gerettet hatte, und rasierte als letzten Beweis meiner Zuneigung, angesichts des ganzen Lagers, seinen Kopf. Gar bald ward ich inne, daß die Schaustellung meiner Geschicklichkeit sich für meine Zukunftspläne als ungemein förderlich erweisen sollte. In der Tat wollte nun jeder, der einen Kopf und Haare hatte, von mir rasiert werden. Mein Ruhm drang alsbald zum Ohre des Sultans, der mich rufen ließ und mir befahl, sein Haupt sofort in Angriff zu nehmen. Blitzschnell bearbeitete ich seinen von Narben durchquerten großen Schädel, dessen Haarwuchs so struppig war wie das Fell der Schäferhunde. Der Sultan, dessen Haar gewöhnlich nur geschnitten wurde, wahrscheinlich mit der gleichen Schere, die zum Scheren der Schafe diente, der nicht ahnte, daß es noch einen größeren Luxus gäbe, als sich von einem tölpelhaften, barbarischen Dorfbarbier verstümmeln zu lassen, fühlte sich unter meinen geschickten Händen geradezu ins Paradies versetzt. Freimütig lobte er meine Geschicklichkeit, schwor laut, niemals, selbst nicht das größte Lösegeld für mich zu nehmen, und ernannte mich feierlich zu seinem Leibbarbier. Ich kniete nieder, küßte seinen Mantel mit allen äußeren Zeichen ehrfurchtsvollster Dankbarkeit, war innerlich aber fest entschlossen, meine größere Bewegungsfreiheit und das Vertrauen, das er mir schenkte, bei der nächsten Gelegenheit zur Flucht zu benutzen.

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