Erstes Kapitel - Hadschis Geburt und Erziehung
Mein Vater Hassan Kerbelāi war einer der renommiertesten
Barbiere Ispahans. Er zählte kaum siebzehn Jahre, als er sich
mit der Tochter eines Krämers aus der Nachbarschaft
verheiratete; doch da der Ehe der Kindersegen versagt blieb,
kümmerte sich mein Vater, wohl aus diesem Grunde, wenig um
seine Frau. Seinem gewandten Rasiermesser verdankte er nicht
nur hohes Ansehen, sondern auch einen großen Zulauf von
Kunden, besonders unter den Kaufleuten; und nach
zwanzigjähriger, saurer Arbeit glaubte er die Zeit gekommen,
sich eine zweite Frau in seinem Harem vergönnen zu dürfen.
Einem reichen Geldwechsler hatte er alle diese Jahre mit
solcher Meisterschaft den Kopf rasiert, daß ihm dieser ohne
jede Schwierigkeit die Hand seiner Tochter zusagte. Nicht nur,
um den lästigen Eifersuchtsszenen der ersten Frau wenigstens
für einige Zeit entrückt zu sein, sondern auch, um sich bei
seinem reichen Schwiegervater ins beste Licht zu setzen, der
zwar notorisch Geldstücke beschnitt und für vollwertig ausgab,
aber doch gerne den Heiligen spielte, unternahm er mit seinem
jungen Weibe die große Pilgerfahrt nach dem hochberühmten
Grabe Husseïns in Kerbela. Auf dieser Reise wurde ich geboren.
Vor der denkwürdigen Reise war mein Vater kurzweg als
Hassan der Barbier bekannt gewesen. Nachher aber legten ihm
die Leute den ehrenvollen Titel »Kerbelāi« (einer der nach
Kerbela gepilgert war) bei. Mir aber, den die Mutter auf der
Reise geboren und sehr verhätschelte, gab man, ihr zu
Gefallen, den hochangesehenen Titel »Hadschi« oder
Mekkapilger. Und siehe da, trotzdem nur solche ein Anrecht auf
diese hohe Würde besitzen, die selbst die lange Wallfahrt zum
Grabe des göttlichen Propheten unternommen haben, blieb mir
der Titel mein Lebtag haften und trug mir unzählige
unverdiente Ehren und Auszeichnungen ein.
Auch mein zukünftiger Beruf sollte der Streichriemen
werden. Wäre nicht ein Molla (Priester), der einer
nahegelegenen Schule vorstand, zufällig auf mich aufmerksam
geworden, hätte ich sicher keine andere Bildung genossen, als
die Erlernung der vorgeschriebenen Gebete erfordert. Jede
Woche rasierte ihn mein Vater umsonst, »aus Liebe zu Gott«,
wie er gerne betonte, wohl auch, um seinen wohlerworbenen Ruf
als Frommer aufrecht zu erhalten. Der heilige Mann lehrte mich
aus Dankbarkeit dafür Lesen und Schreiben. Unter seiner
Leitung machte ich solche Fortschritte, daß ich binnen zwei
Jahren den Koran entziffern und leserlich schreiben konnte.
Studierte ich nicht in der Schule, so erlernte ich in der
Barbierstube meines Vaters die Anfangsgründe meines künftigen
Gewerbes. Drängten sich dort die Kunden, so durfte ich meine
ersten Versuche mit dem Rasiermesser an den Köpfen der Kamel-
oder Maultiertreiber, recht oft zu derem bitteren Schaden,
wagen. Als ich sechzehn Jahre alt war, hätte man schwer
entscheiden können, ob ich das Vollkommenste als Schüler oder
als Barbier leistete. Ich verstand das Kopfrasieren,
Ohrenreinigen, die kunstvollste Bartpflege, doch rühmte man
nichts so sehr als meine Bedienung im Bade. Die verschiedenen
Arten des Kopfwaschens, wie sie in Indien, Kaschmir und in der
Türkei gebräuchlich sind, verstand niemand besser als ich.
Beim Kneten aber die Gelenke knacken zu lassen, den Schlägen
ein Echo in den hohen Baderäumen zu entlocken, war eine ganz
besondere Spezialität, die mir keiner nachmachte. Dank meinem
Lehrer würzte ich die Unterhaltung mit gelegentlich passend
angebrachten Zitaten unserer mir wohlbekannten Dichter Hafis
oder Saadi, und dieser Vorzug, den eine wohllautende Stimme
unterstützte, ließ mich allen, deren Kopf oder Glieder meiner
Wirksamkeit anheimgegeben waren, als einen seltenen,
angenehmen Gesellschafter erscheinen. Kurz, ohne Eitelkeit
kann ich behaupten, für erlesene Kenner und verständnisvolle
Sybariten galt Hadschi Babas Bedienung als besonderer und
vielbegehrter Genuß. Unsere Barbierstube ward zum Stelldichein
einheimischer und fremder Kaufleute, und oft geschah es, daß
einige für die Kurzweil, die ihnen die schlagfertigen
Antworten des hoffnungsvollen Sohnes bereiteten, über das
Gebräuchliche bezahlten. Einer von diesen, ein Kaufmann aus
Bagdad, faßte eine große Vorliebe für mich und zog meine
Bedienung selbst der meines erfahrenen Vaters vor. Er
unterhielt sich mit mir in türkischer Sprache, die ich
leidlich innehatte, und reizte durch fabelhafte Schilderungen
der herrlichen fremden Städte, die er bereist hatte, meine
Wißbegierde in so hohem Maße, daß mich alsbald eine brennende
Wanderlust erfaßte. Da er einen Mann zur Führung seiner
Rechnungen suchte, ich sowohl Barbier wie auch Schreiber war
und er mir glänzende Anerbietungen machte, so zögerte ich
keinen Augenblick, in seine Dienste zu treten. Mein Vater, der
mich ungern verlieren mochte, versuchte mich abzuhalten, ein
sicheres Gewerbe gegen ein neues zu vertauschen, das
voraussichtlich Gefahren und wechselndes Glück mit sich
brächte. Die glänzenden Bedingungen des Kaufmannes aber ließen
seine Bedenken schwinden, er gab mir seinen Segen, begleitet
von einem Futterale voll neuer Rasiermesser.
Meine Mutter bedauerte unter Tränen den Verlust meiner
Gesellschaft, auch der Umstand, daß ich mit einem Ketzer,
einem Sūni und Anhänger Omars, in die Ferne ziehen
wollte, ließ sie für meine Zukunft nichts Gutes ahnen.
Desungeachtet aber gab sie mir als Zeichen ihrer mütterlichen
Liebe einen Beutel voll zerbrochener Zuckerbrote und eine
kleine Blechschachtel, angefüllt mit einer köstlichen Salbe,
die, wie sie mir versicherte, nicht nur alle äußeren, sondern
auch inneren Schäden zu heilen vermöchte. Ferner wies sie mich
an, beim Verlassen des Hauses mein Gesicht der Tür zuzuwenden,
um mir, nach einer unter so ungünstigen Umständen angetretenen
Reise, eine glückverheißende Heimkehr zu sichern.