Toleranz und Intoleranz nach dem Koran - ein Widerspruch?
Möglichkeiten und Grenzen muslimischer Toleranz.
Historische Erfahrungen und heutige Situation
Fast immer, wenn das Thema „Islam und Toleranz" zur Debatte
steht, bilden sich sehr schnell zwei Parteien, die Standpunkte
vertreten, welche sich gegenseitig ausschließen - nennen wir
sie einmal die Toleranzpartei und die Intoleranzpartei. Das
Bemerkenswerte dabei ist, dass jede der beiden Parteien
Argumente aus der Geschichte und Gegenwart muslimischer Länder
beibringen kann, die ihren jeweiligen Standpunkt überzeugend
bestätigen und im Einzelfall auch kaum zu widerlegen sind. Es
pflegt dann dieses gegenseitige "Ja-Aber-Spiel" stattzufinden,
und je nach geistiger Disposition der Parteien kann es dann zu
Polemik und auch lautem Streit kommen.
Wie lassen sich solche Gegensätzlichkeiten erklären?
Liegen dem möglicherweise unterschiedliche
Verständnisse/Definitionen von „Toleranz" zugrunde? Mag es
sein, dass die Frage nach einem generellen „Entweder – Oder"
einfach die Sache nicht treffen kann? Oder ist vielleicht das
Wort „Toleranz" überhaupt unbrauchbar, um bestimmte
Erscheinungsformen in muslimischen Gesellschaften zu erfassen,
die wir nur und erst hier und heute gedanklich mit diesem Wort
und dessen Gegenteil in Verbindung bringen? Antworten auf
diese Fragen vermögen vielleicht die folgenden Beobachtungen
und Überlegungen zu geben, möglicherweise auch nur Denkanstöße
in Richtung auf eine Beantwortung.
Vorausschicken möchte ich jedoch noch zwei grundlegende
Feststellungen:
- Zum ersten: Der Begriff und das Konzept „Toleranz" ist in
unserem Kulturkontext entstanden und dies auch erst in der
Neuzeit aufgrund ganz bestimmter gesellschaftlicher
Notwendigkeiten. Es kann daher nicht verwundern, ja überhaupt
nicht erwartet werden, dass ein originär-islamisches
Gegenstück zu diesem Begriff und Konzept existiert.
- Und zum zweiten: Eine Religion mit universellem Anspruch,
und das ist der Islam genauso wie das Christentum, kann sich
prinzipiell nicht dazu bereit finden, die Glaubensinhalte und
die religiöse Praxis anderer Religionsgemeinschaften als
gleichberechtigt und damit deren Mitglieder als religiös
gleichwertig anzuerkennen. Ein Weg dahin ist allenfalls über
komplizierte gedankliche Konstrukte und/oder über die Aufgabe
eigener Grundpositionen zu finden.
Erscheinungsformen, bei denen wir heute „Toleranz"
assoziieren, lassen sich im Kontext „Islam" dann auch nicht
auf der Ebene des Dogmas feststellen, vielmehr im Bereich des
- nennen wir es einmal „säkularen"- gesellschaftlichen
Zusammenlebens.
Einige Beispiele quer durch die Geschichte muslimischer
Länder (und nahezu beliebig vermehrbar) mögen diese
Feststellung konkretisieren:
- Muslimische Territorien im ersten islamischen Jahrhundert
wurden überwiegend von nichtmuslimischen Administratoren
verwaltet, wobei noch lange Zeit die internen
Verwaltungssprachen Griechisch und Persisch waren; auch in den
folgenden Jahrhunderten, in Ägypten bis in die Neuzeit, waren
Nichtmuslime weit überproportional in Positionen der
Administration, besonders der Finanzverwaltung, vertreten.
- Muslimische Handbücher für die Hofkorrespondenz enthalten
Einsetzungs-Urkunden für die geistlichen Oberhäupter
verschiedener nichtmuslimischer Religionsgemeinschaften,
Metropoliten, Bischöfe, Abte, Oberrabbiner u.a. Urkunden, in
welchen diese geistlichen Führer als hochgestellte Notabeln in
den jeweiligen muslimischen Territorien erscheinen.
- Es existiert ein umfangreiches Schrifttum von
Nichtmuslimen in arabischer Sprache, so etwa auch des
jüdischen Philosophen Maimonides.
- Die im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh. so
einflussreiche und formative Bewegung des Arabischen
Nationalismus verdankt ihre Entstehung und ideologische
Ausrichtung vorwiegend christlichen Arabern; auch der
Mitbegründer und Chefideologe der Bath-Partei, Michel Aflaq
(Name!), war griechisch-orthodoxer Christ.
- Und Beispiele aus unserer direkten Gegenwart: Im Libanon
ist traditionsgemäß der Staatspräsident ein maronitischer
Christ, der Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim und der
Parlamentspräsident ein Schiit - und der jetzige UNO
-Generalsekretär Butrus Ghali, ein koptischer Christ, war über
lange Jahre der, wenn auch nicht nominelle, so doch wirkliche
Außenminister Ägyptens.
Was diese wenigen Beispiele nur zeigen sollen und können,
ist die unbestreitbare Tatsache, dass nahezu von Beginn an
nicht-muslimische Gruppen integrierende Bestandteile
muslimischer Gesellschaften gewesen sind, dies vor allem auch
- das sei hinzugefügt - in den städtischen Zentren
muslimischer Länder.
Wie ist es zu dieser gesellschaftlichen Integration von
Nichtmuslimen (Integration möchte ich dem Wort „Toleranz"
einmal vorziehen) gekommen - und was sind deren qualitative
Merkmale?
Der Grundstein für die Integration wurde bereits zu
Lebzeiten des Propheten Muhammad gelegt, ebenso stammen aus
dieser Zeit bereits elementare Richtwerte für deren Inhalte
und Bedingungen. Die späten und für die weitere Zukunft
maßgeblichen koranischen Offenbarungen unterscheiden nämlich
nicht nur Gläubige/Muslime und „Heiden", sie kennen auch eine
Kategorie von, nennen wir sie einmal, „Halbgläubigen", gemeint
sind die über eine ältere schriftliche Offenbarung verfügenden
Juden und Christen, die „Schriftleute", wie ihre Bezeichnung
lautet, und von denen es zur Zeit des Propheten größere
Stammesgruppen auf der Arabischen Halbinsel gab.
In frühen Offenbarungen waren diese „Schriftleute" noch mit
den Bekennern des Islam nahezu gleichgesetzt worden - die
entsprechenden Koranverse werden übrigens häufig als Belege
für islamische „Toleranz" zitiert, - ihre konkrete Weigerung
jedoch, den Propheten als solchen anzuerkennen und den
islamischen Kultus zu übernehmen, führte zu ihrer Herabstufung
- aber eben nicht in die Kategorie der „Götzendiener" sondern
in eine Gruppen von Leuten, die - einer authentischen
göttlichen Offenbarung teilhaftig - diese im Laufe der Zeit
verfälschend manipuliert haben (z.B. [Christen] Vergöttlichung
des Propheten Jesus), im übrigen aber noch einige zentrale
Grundwahrheiten bewahrt haben. Der Mittelstatus der
„Schriftleute" als „Halbgläubige" hatte zwei entscheidende
Konsequenzen: Im Unterschied zu den „Götzendienern" brauchten
sie nicht mit Gewalt zum Anschluss an den Islam gezwungen zu
werden, sondern konnten nach Abgabe einer „Entschädigung (Jizya)"
ihre Form von Religion unbehelligt und rechtlich geschützt
weiter praktizieren und: die Frauen der „Schriftleute" waren -
anders als die „Götzendienerinnen" - für Muslime (auch ohne
vorherige Konversion!) heiratbar.
Muhammad selbst hat bereits auf der Basis dieses
Sonderstatus der „Schriftleute„ eine Reihe von Verträgen mit
jüdischen und christlichen Gruppen auf der Arabischen
Halbinsel abgeschlossen.
Für zukünftige Formen des Zusammenlebens entscheidend wurde
jedoch die Periode der explosionsartigen muslimischen
Expansion im 1. Jh. nach dem Tode des Propheten, in deren
Verlauf Muslime bekanntlich die dominierende politische Kraft
von den Grenzen des indischen Subkontinents bis zu den
Pyrenäen wurden. Für das geographische Ausmaß, die
Schnelligkeit und vor allem die Dauerhaftigkeit dieser
Expansion zeichnet m. E. vor allem die Tatsache
verantwortlich, dass die muslimischen Kämpfergruppen, die
anfangs auf den Herrschaftsgebieten von Byzanz und Iran
vorwiegend auf „Schriftleute" stießen, die Konversion zum
Islam nicht einfordern mussten, vielmehr im Vertragswege
Freiheit der Religionsausübung gegen Zahlung von
„Entschädigung (Jizya)" anbieten konnten. Damit waren die
Muslime für den größeren Teil dieser „Schriftleute" die
bessere Alternative zu Byzanz und Iran, weil der größere Teil
der orientalischen Christen, Monophysiten und Nestorianer
nämlich, von Byzanz als „Häretiker" verfolgt wurden und im
Iran als Christen ohnehin in Opposition zur vorgeschriebenen
„Staatsreligion" standen.
Die Folge war auf Seiten der „Schriftleute"
Vertragsbereitschaft - konnten sie doch seit langer Zeit
endlich wieder ihr religiöses Leben frei und ungestört
gestalten - darüber hinaus aber auch den Muslimen gegenüber
zumindest wohlwollende Neutralität, des öfteren auch
nachweislich Bereitschaft und Angebote zur Zusammenarbeit. So
lässt sich „cum grano salis" durchaus behaupten, dass der
dauerhafte Erfolg der frühislamischen Expansion nicht
unwesentlich der Mithilfe von Nicht-Muslimen zu verdanken war.
Auf der Basis eines solchen ‘joint venture" konstituierte sich
dann im 7./8. Jh. eine muslimisch dominierte Ökumene, in der
Nicht-Muslime die weit überwiegende zahlenmäßige Majorität
bildeten - Nicht-Muslime im übrigen, die mit der Zahlung der
„Entschädigung" (Jizya), die bald zu einer regelrechten Steuer
wurde, die herrschende muslimische Minorität weitestgehend
„finanzierten."
Dieses bereits sehr früh zustande gekommene
Nebeneinanderexistieren oder auch Zusammenleben von
Nichtmuslimen und Muslimen, für die Zukunft dann eine
Konstante der Geschichte muslimischer Länder, wurde von beiden
Seiten in den Kategorien eines Vertrages mit beiderseitigen
Rechten und Pflichten gedacht und gestaltet. Von zentraler
Bedeutung war dabei die Tatsache, dass dieses Vertrags-Muster
schließlich auch integrierender Bestandteil des Islamischen
Religiösen Gesetzes, der Pari3a, wurde das Vertragsverhältnis
„Muslime - Nicht-Muslime" erhielt dadurch eine überzeitliche,
nahezu „transzendente", Qualität, war prinzipiell den
Wechselfällen der (politischen) Geschichte entzogen.
Worin nun bestanden die wesentlichen Grundbedingungen
dieses zweiseitigen Vertragsverhältnisses?
Die nichtmuslimischen Gruppen waren verpflichtet:
- zur Zahlung der „Entschädigung" (Jizya) à Steuer
- zur Vermeidung jeglicher Zusammenarbeit mit den Feinden
der Muslime
- zur Unterlassung von Handlungen, die, die umgebenden
Muslime stören oder provozieren könnten, z.B. mit Lärm
verbundene Aufrufe zum Gottesdienst; Prozessionen; zur Schau
tragen von Kreuzen; aber auch: Weinverkauf in muslimischen
Stadtvierteln
- (Verpflichtung) durch Kleidung und Waffenlosigkeit als
Nichtmuslime erkennbar zu sein. Dies war die ursprüngliche
Bedeutung dieses Gebotes für die Nicht-Muslime: die eigene
Kleidung und die für Sesshafte typische Waffenlosigkeit war
beizubehalten, und sie durften sich nicht wie muslimische
Stammesgruppen kleiden und verhalten - dies implizierte vor
allem auch den Erkennbarkeitsschutz für die weitaus
minoritären Muslime, denn es gab ebenso das Verbot für die
Muslime, die (offenbar attraktiven) Kleidungsgewohnheiten der
„Schriftleute" nachzuahmen und zu übernehmen.
Die Muslime verpflichteten sich - als Gegenleistung - zu
umfassendem Schutz der Nichtmuslime vor An- und Übergriffen
von Außen und Innen; das Gewicht der muslimischen
Schutz-Verpflichtung wird vor allem auch daran deutlich, dass
sich für die Nichtmuslime zunehmend mehr die Bezeichnung „die
Geschützten" anstelle von „Schriftleute" durchsetzte - was
letztlich auch darauf hinweist, dass ihrem Rechtsstatus eine
höhere Bedeutung beigemessen wurde als ihrer
Religionszugehörigkeit.
Der umfassende Schutz von Seiten der Muslime nun betraf:
- das Leben der Nichtmuslime und ihrer Familien
- deren Immobilien und mobilen Besitz
- deren vorhandenen Kultstätten
- die Ausübung ihres religiösen Kultus
- schließlich die Garantie einer „gemeinschaftsinternen"
Verwaltungs- und Rechtsautonomie unter der Führung geistlicher
Oberhäupter
Die hier nur in aller Kürze skizzierten Grundbedingungen
des Vertragsverhältnisses zwischen Muslimen und Nichtmuslimen
haben sich über Jahrhunderte und in verschiedensten Regionen
der muslimischen Welt als außerordentlich tragfähige Grundlage
für ein Zusammenleben erwiesen - beide Seiten wussten
jedenfalls sehr genau, woran sie miteinander waren. Es lässt
sich ferner mit Recht behaupten, dass diese historisch gelebte
und bewährte Form der Integration Andersgläubiger in
muslimische Gesellschaften bis ins 17. /18. Jh. hinein im
christlichen Europa kein Gegenstück hatte.
Ebenso klar ist aber auch, dass die Muslime in diesem
Vertragsmodell die höherwertigen und überlegenen Partner
waren: die Nichtmuslime (nämlich) wurden stärker finanziell
belastet; sie waren nur begrenzt heiratswürdig;
Religionswechsel war nur zum Islam hin denkbar und in
umgekehrter Richtung ein todeswürdiges Vergehen;
nichtmuslimisches Anstreben oder Erlangen von Herrschaft über
Muslime war schlechthin der „Casus belli."
Erst mit den - zeitlich und regional sehr
unterschiedlichen, aber durchaus üblichen - Abweichungen vom
Vertragsmodell (oder auch ungewöhnlichen Auslegungen dieses
Modells) kommen wir in die Bereiche sowohl dessen, was wir
heute mit „Toleranz" als auch dessen, was wir mit „Intoleranz"
bezeichnen.
Solche Abweichungen nämlich konnten in eine für die
Nichtmuslime sehr positive, aber eben auch in eine für diese
sehr ungünstige Richtung gehen. - Diese beiden möglichen
Richtungen des Abweichens vom „Vertrag" seien hier kurz
beschrieben und charakterisiert:
Zur positiven Seite hin spielte die Tatsache eine
ausschlaggebende Rolle, dass Nicht-Muslime aufgrund besonderer
Fähigkeiten für die umgebenden muslimischen Gesellschaften von
hohem Nutzen, wenn nicht unentbehrlich, waren. Dazu gehörten
ihre Fähigkeiten in der Administration, besonders der
Finanzverwaltung, aufgrund derer sie in hohe und höchste
Verwaltungsämter gelangen konnten, mitunter bis zur Position
eines „Wazir."
Ferner konnten sich Nichtmuslime in Berufszweigen
betätigen, die für Muslime als religiös anstößig galten, deren
Ausübung aber notwendig war und zu hohen Gewinnen und Reichtum
führte; genannt seien das Kapitalgeschäft und das
Schmuckhandwerk. Zudem waren Nichtmuslime sehr häufig gesuchte
und geförderte Vertreter von Wissenschaftsdisziplinen, die aus
griechischer Tradition kommend, eher außerhalb des Kanons
spezifisch islamischer Gelehrsamkeit lagen, der
Naturwissenschaften etwa - besonders auch der Medizin. Der
christliche oder jüdische Arzt z.B. auch und gerade in der
Umgebung von Herrschern ist eine ganz normale Erscheinung.
Nichtmuslimische Personen und Gruppen, die in den hier
genannten Bereichen zu großem Einfluss und/oder Reichtum
gelangten, wurden natürlich (mindestens) wie
„Gleichberechtigte" angesehen und behandelt, ihre andere
Religionszugehörigkeit spielte einfach keine Rolle mehr; im
übrigen haben dieser Art „Prominente" ihre Positionen auch
immer wieder dazu benutzen können, ihren jeweiligen
Religionsgemeinschaften auch längerfristig erhebliche -
außerhalb des Vertrages liegende - Vorteile zu verschaffen.
Noch auf einer anderen Ebene konnte sich die Trennlinie,
die das Vertragsmodell zwischen Muslimen und Nichtmuslimen
gezogen hatte, immer wieder und auch für längere Zeit
verwischen, im Bereich der Volksreligiosität: Langandauerndes
Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen in enger
Nachbarschaft, auch und vor allem im urbanen Milieu, hatte
z.B. das gemeinsame Begehen der wechselseitigen religiösen
Feste zur Folge, Feste, die eben in erster Linie als
volkstümliche Feiern verstanden und begangen wurden. Auch beim
gemeinsamen Besuch von (Segen verheißenden) „Heiligengräbern"
war die Frage nach der Religionszugehörigkeit des jeweiligen
„Heiligen" von denkbar geringem Interesse. Und schließlich
haben auch manche der großen und besonders seit dem 14./15.
Jh. außerordentlich einflussreichen mystischen Sufi-Orden bei
der Auflösung religiöser Grenzziehungen eine wichtige Rolle
gespielt: Deren zentrales Anliegen, durch esoterische Übungen
den direkten Zugang zu Gott zu erlangen, konnte - bisweilen
erklärtermaßen - auch Nichtmuslime mit einschließen und in
ihren Reihen zulassen.
Werfen wir nun noch einen kurzen Blick auf Formen eines für
die Nichtmuslime sehr negativen Umganges mit dem
Integrationsvertrag; auf Maßnahmen, die durchaus mit unserem
Verständnis von „Intoleranz" in Einklang zu bringen sind.
Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Aufkündigung des
Grundvertrages von Seiten der Muslime und damit ein zur
Disposition Stellen von Leben und Besitz nichtmuslimischer
Gruppen zu den ganz seltenen Ausnahmefällen muslimischer
Geschichte gehört, Pogrome gegen nichtmuslimische Minderheiten
sind jedenfalls nicht Sache des Islam gewesen.
Jedoch sind mitunter die Konditionen des
Integrationsvertrages äußerst restriktiv ausgelegt worden, und
dies traf nichtmuslimische Gemeinschaften immer dann besonders
hart, wenn nach längeren Zeiträumen einer sehr laxen und
wohlmeinenden Handhabung der Vertragsauflagen diese wiederum
auf den Buchstaben genau und in ihrer striktesten Auslegung
eingefordert wurden. Dies konnte z. B. bedeuten, dass die
„Geschützten" nach längerer Zeit ungezwungenen Zusammenlebens
mit ihrer muslimischen Umgebung wieder dazu verpflichtet
wurden, unterscheidende Kleidung zu tragen, keine hochwertigen
Reittiere mehr zu benutzen oder auch die öffentlichen Bäder
der Muslime zu meiden.
Dies konnte ferner dazu führen, dass Gotteshäuser von
Nichtmuslimen abgerissen wurden, denn geschützt waren bei
strenger Auslegung des Vertrages nur die zur Zeit der
muslimischen Expansion im 7./8. Jh. bereits vorhandenen
Kultstätten; eine Bestimmung, an die sich Nichtmuslime „in
besseren Zeiten" nicht zu halten brauchten und nicht gehalten
haben. Anknüpfungspunkt konnten ferner die finanziellen
Verpflichtungen des Vertrages sein, die - wie auch schon im
Koran - nicht quantifiziert und qualifiziert waren, und somit
als Vorwand für beliebig hohe Besteuerung, mit der möglichen
Konsequenz von Vermögenskonfiskationen etwa, benutzt werden
konnten.
Schließlich ist des öfteren argumentiert worden, die
Beschäftigung von Nicht-Muslimen in hohen
Verwaltungspositionen könne diesen zuviel Macht über Muslime
verschaffen und zu einer schleichenden Herrschaftsübernahme
führen; gefordert und nicht selten auch durchgesetzt wurde
dann die Entfernung der „Geschützten" aus der Administration;
allerdings meist nur für kurze Zeit, da es ohne sie „einfach
nicht ging." Die „klassischen" historischen Situationen für
derartige Tendenzen zur Intoleranz waren übrigens durchweg
Krisenzeiten in den betreffenden Regionen der muslimischen
Ökumene: Angriffe von Außen, wirtschaftliche Notzeiten,
gesellschaftliche Umbrüche, Machtergreifung durch puritanische
Gruppierungen. Damit wären wir im übrigen auch bereits bei der
heutigen Situation. Dazu nur einige Stichworte, die Falaturi
sicherlich aus seiner theologischen Sachkenntnis und eigenen
Erfahrungen noch erheblich bereichern kann.
Was wohl nicht bestritten werden kann, ist die Tatsache,
dass viele Muslime in verschiedenen Ländern, vor allem des
Nahen Ostens, ihren vorwiegend christlichen Minderheiten
zunehmend mit Misstrauen begegnen, an ihrer Loyalität
zweifeln. Die Erfahrungen z. B. mit den christlichen Maroniten
im Libanon oder auch mit der Integration alteingesessener
jüdischer Minoritäten in den Staat Israel scheinen die uralte
Angst zu bestätigen, dass man sich auf diese Gruppen nicht
verlassen kann, dass sie vor allem auch eine Art
Brückenfunktion für eine westliche Überfremdung wahrnehmen.
Auf der anderen Seite haben die meisten muslimischen
Staaten Verfassungen europäischen Musters, welche die
rechtliche Gleichstellung aller Staatsbürger festgeschrieben
haben.
Dennoch - vor allem wenn rein islamisch gedacht und
argumentiert wird - kommen immer wieder die alten Muster des
Schutzvertrages zum Vorschein, des Schutz-Vertrages, der zwar
unbestritten über Jahrhunderte ein äußerst „fortschrittliches"
Modell für das Zusammenleben verschiedener Religionen
darstellen konnte, aber heutigen Ansprüchen eben nicht mehr
genügen kann. Sehen wir einmal von muslimischen
Intellektuellen ab, die man als „säkularisiert" bezeichnen
kann und die mit der Toleranz-Forderung in unserem Sinne
keinerlei Probleme haben (so jedenfalls meine Erfahrung), so
scheint mir für die Zukunft von hoher Bedeutung zu sein, ob
sich muslimische Theologie in Richtung auf eine vollgültige
Anerkennung anderer Religionsformen bewegen kann und wird.
Ein, wenn nicht der, Prüfstein könnte sein, ob die
Konversion vom Islam zu einer anderen Religion zu einer
„Denkbarkeit" wird. Doch damit fische ich längst in den
Gewässern von Falaturi und will hier erst einmal meine
Überlegungen beenden.