Die reformatorische These
Wir haben gesagt, diejenigen, die glauben, der Mensch sei
bösartig von Geburt an, und die der menschlichen Natur
pessimistisch gegenüberstehen, haben keine reformatorische
These aufzuweisen, denn sie halten ja den Menschen für
unverbesserlich, und man braucht nicht in Utopien zu
schwelgen. Auch Marx glaubte nicht an die reformatorische
These. Er betrachtete jede reformatorische These zu der Zeit,
als das Privateigentum existierte, als reine Illusion. Nach
Marx ist jeder moralische Ratschlag die Menschen zu
Gerechtigkeit zu ermuntern und zu Schaffung einer klassenlosen
Gesellschaft aufzurufen, nur ein imaginärer Sozialismus, denn
der Materialist spricht dem Menschen jede Macht ab und
unterwirft ihn der Gesellschaft und den Produktionsmitteln und
hält ihn für einen Gefangenen der Geschichte. Marx sagt, die
Entwicklung der Gesellschaft sei der Geburt eines Kindes zu
vergleichen, das nicht zur Welt gebracht werden kann, bevor
die Zeit nicht gekommen ist. Man müsse abwarten, bis die
Produktionsmittel diesen Entwicklungsgrad erlangt hätten, der
erlaubt, daß das Privateigentum verschwindet. Es ist mit einer
schwangeren Frau zu vergleichen, die im dritten
Schwangerschaftsmonat keinem normalen Kind das Leben schenken
kann. Es gäbe nichts weiter als eine Fehlgeburt. Sie muß
abwarten, bis der vorgesehene Zeitpunkt gekommen ist. Das
einzige, was man tun kann, ist, die Schmerzen bei der
Niederkunft zu verringern. Diejenigen, die im Menschen
keinerlei Wesenheit sehen und glauben, alles sei durch die
Gesellschaft fabriziert, sind Deterministen. Sie verwerfen die
reformatorische These, denn will man sie akzeptieren, so muß
man glauben, daß der Mensch sich der Restauration, der
persönlichen Reform hingibt und das Wahre, die Gerechtigkeit
und Ehrenhaftigkeit wiedereinführt. Durkheim beispielsweise
glaubte fest an die sozialen Tatsachen, von denen er die
moralischen ableitet, und er nimmt ganz einfach an, die Macht
der sozialen Gegebenheiten beherrsche den Menschen. Autonomie
und Freiheit sind reine Illusion. Alle, die seine Ansicht
vertreten, glauben, der Mensch sei wie ein Magnetband, das
alles aufzeichnet, was man will. Da das Band nichts anderes
tun kann, wiederholt es das, was man darauf aufgenommen hat.
Das Ergebnis dieses Glaubens an die Authentizität der
Gesellschaft ist: Autonomie und Freiheit gewinnen nur einen
Sinn, sobald man das anerkennt, was der Islam mit menschlicher
Natur bezeichnet, was dem Menschen bei seiner Erschaffung in
den Schoß gelegt worden ist, bevor überhaupt irgendeine
Gesellschaft in Erscheinung getreten ist. Die reformatorische
These steht also auf zwei Pfeilen:
der Tatsache, daß man die Natur des Menschen nicht für
böse hält;
der Tatsache, daß man Freiheit und Autonomie des Menschen
respektiert, das, was ihm erlaubt, die Gesellschaft zu
überwinden, sich zu reformieren und die Gesellschaft so zu
gestalten, wie er es möchte.