Sechsunddreißigstes Capitel - Mohammed schickt seine
Feldherrn zu Unternehmungen in der Ferne – Bestimmt
Statthalter für die Regierung des glücklichen Arabiens –
Sendet Ali zur Unterdrückung eines Aufstandes in dieser
Provinz – Tod Ibrahims, des einzigen Sohnes des Propheten –
Sein Verhalten am Todtenbette und Grabe desselben – Zunahme
seiner Kränklichkeit – Seine Abschiedspilgerfahrt nach Mekka
und sein Verhalten und Predigen wahrend des Aufhaltes daselbst
Die Bekanntmachung des zuletzt erwähnten Capitels des
Korans nebst der beigefügten Ankündigung eines
Vernichtungskrieges wider Alle, welche den Glauben oder die
Unterwerfung zurückweisen würden, erzeugte Heere von Bekehrten
und Tributpflichtigen, so daß gegen den Schluß des Monats und
zu Anfange des zehnten Jahres der Hegira Medinas Thore durch
Gesandte von den entfernten Stämmen und Fürsten bedrängt
wurden. Unter denen, welche sich unter die weltliche Macht des
Propheten beugten, befand sich Farwa, der Statthalter des
Heraklius in Syrien und Befehlshaber von Amon, der ehemaligen
Festung der Ammoniter. Seine Unterwerfung wurde jedoch von dem
Kaiser nicht anerkannt und mit Einkerkerung bestraft.
Mohammed fühlte und handelte mehr und mehr als
unumschränkter Herrscher, aber die größten Pläne, welche er
als Eroberer hatte, wurden immer durch den Eifer, welchen er
als Apostel zeigte, geheiligt. Die Feldherrn wurden jetzt auf
entferntere Expeditionen als früher ausgeschickt; aber stets
geschahe es mit der Absicht, die Götzenbilder zu zerstören und
die abgöttischen Stämme zu unterwerfen, so daß Mohammeds
weltliche Gewalt nur mit der Verbreitung seines Glaubens Fuß
faßte. Er ernannte zwei Statthalter, welche das glückliche
Arabien in seinem Namen regieren sollten; aber da ein Theil
dieses reichen und wichtigen Landes sich widerspenstig gezeigt
hatte, so wurde Ali beauftragt, an der Spitze von drei hundert
Reitern sich dorthin zu begeben und die Bewohner zur Vernunft
zu bringen.
Der jugendliche Jünger drückte eine auftauchende
Schüchternheit aus, eine Sendung zu übernehmen, bei welcher er
mit weit älteren und weiseren Männern als er zu unterhandeln
haben würde; doch Mohammed legte ihm die eine Hand auf die
Lippen und die andere auf die Brust und rief, die Augen zum
Himmel erhebend, aus: »O Allah! löse seine Zunge und regiere
sein Herz!« Er gab ihm eine Regel für sein Verhalten, wenn er
Richter wäre. »Wenn zwei Parteien vor dich kommen, so erkläre
dich niemals eher zu Gunsten der einen, als bis du die andere
gehört hast.« Hierauf gab er ihm die Fahne des Glaubens in die
Hände, setzte ihm den Turban auf das Haupt und wünschte ihm
Lebewohl.
Als der kriegerische Glaubensbote in der ungläubigen Gegend
von Jemen ankam, so begannen seine Mannschaften, den alten
arabischen Neigungen sich überlassend, zu verheeren, zu
plündern und zu zerstören. Ali setzte ihren Ausschweifungen
Gränzen und begann, indem er die flüchtigen Bewohner
zurückhielt, die Lehren des Islams auseinander zu setzen.
Seine Zunge, obgleich von dem Propheten erst frisch geweiht,
vermochte keine Ueberzeugung zu wirken. Hierauf wendete er
sich zu der alten Beweisart des Schwertes, welche er mit
solchem Erfolge handhabte, daß, nachdem zwanzig Ungläubige
getödtet worden waren, die übrigen bekannten, daß sie
vollkommen überzeugt wären. Dieser glaubenseifrigen Großthat
folgten andere ähnlicher Art, und nach jeder fertigte er Boten
an den Propheten ab, um einen neuen Triumph des Glaubens zu
melden.
Während Mohammed über die Nachrichten von dem glücklichen
Fortgange aus jeder Gegend jubelte, wurde sein Herz durch
einen der herbsten häuslichen Verluste verwundet. Ibrahim, der
von der bevorzugten Beischläferin Mariyah geborne Sohn, ein
Kind von nur fünfzehn Monaten, auf welchem die Hoffnung ruhte,
daß er seinen Namen auf die Nachwelt fortpflanzen würde, wurde
von einer tödtlichen Krankheit ergriffen und verschied vor
seinen Augen. Mohammed konnte die Vatergefühle nicht
beherrschen, als er sich beim Todeskampfe über die verwelkte
Blüthe seiner Hoffnungen beugte. Doch sogar in dieser
Prüfungsstunde zeigte er jene Unterwerfung unter Gottes
Willen, welche die Grundlage seines Glaubens bildete. »Mein
Herz ist betrübt«, sprach er leise, »und meine Augen fließen
über von Thränen, weil ich dich, o mein Sohn, aufgeben muß!
Und noch größer würde mein Kummer sein, wenn mir nicht bekannt
wäre, daß ich dir bald folgen müßte; denn wir sind von Gott;
von ihm kamen wir und zu ihm müssen wir zurückkehren.«
Abda'lrahman, welcher ihn in Thränen sah, fragte: »Hast du
uns nicht verboten, die Todten zu beweinen?« »Nein«,
antwortete der Prophet. »Ich habe euch verboten, Angstrufe und
Klagegeschrei auszustoßen, euch die Gesichter zu schlagen und
die Gewänder zu zerreißen. Das sind Eingebungen des Teufels;
aber Thränen, welche über ein Unglück vergossen werden, sind
Balsam für das Herz und werden in Gnaden verliehen.«
Er begleitete das Kind zum Grabe, wo er mitten in dem
Trennungskampfe einen andern Beweis gab, daß die Grundlehren
seiner Religion seinem Geiste immer gegenwärtig waren. »Mein
Sohn! mein Sohn!« rief er aus, als der Leib dem Grabe
übergeben wurde, »sage: Gott ist mein Herr! der Prophet Gottes
war mein Vater und der Islam ist mein Glaube!« Dies geschah,
um das Kind auf das Verhör durch die examinirenden Engel in
Rücksicht des religiösen Glaubens vorzubereiten, welchem, nach
dem moslemischen Bekenntnisse, die Abgeschiedenen sich zu
unterziehen haben, während sie im Grabe sind.Eine von den
Begräbnißfeierlichkeiten der Moslemen besteht für den Mulakken
oder Priester darin, daß er den Verstorbenen, wenn er im Grabe
ist, mit den folgenden Worten anredet: »O Diener Gottes! o
Sohn einer Magd Gottes! wisse, daß zu dieser Zeit zu dir zwei
Engel niedersteigen werden, welche in Rücksicht auf dich und
deines Gleichen beauftragt sind. Wenn sie zu dir sagen, wer
ist dein Herr? so antworte ihnen: Gott ist mein Herr,
wahrhaftig; und wenn sie dich in Betreff des Propheten oder
des Mannes fragen, welcher zu euch gesendet worden ist, so
sage zu ihnen: Mohammed ist der Apostel Gottes, in Wahrheit;
und wenn sie dich fragen rücksichtlich der Religion, so sage
zu ihnen: der Islam ist meine Religion. Und wenn sie dich
fragen über dein Gesetzbuch, so sage zu ihnen: der Koran ist
mein Gesetzbuch, und die Moslemen sind meine Brüder; und wenn
sie dich fragen rücksichtlich deines Keblas, so sage ihnen:
die Kaaba ist mein Kebla, und ich habe gelebt und bin
gestorben in der Ueberzeugung, daß es keine Gottheit giebt
außer Gott, und daß Mohammed der Apostel Gottes sei, und sie
werden sagen: Schlafe, o Diener Gottes, unter dem Schutze
Gottes!« Eine Verfinsterung der Sonne, welche um diese Zeit
sich ereignete, wurde von einigen eifrigen Bekennern als
himmlisches Trauerzeichen wegen Ibrahims Tode gedeutet; aber
der betrübte Vater verwarf solch willfährige Schmeichelei.
»Die Sonne und der Mond,« sagte er, »gehören zu den
Wunderwerken Gottes, durch welche er seinen Dienern zu Zeiten
seinen Willen anzeigt; jedoch die Verfinsterung derselben hat
weder mit der Geburt noch mit dem Tode eines Sterblichen Etwas
zu thun.«
Ibrahims Tod war ein Schlag, welcher ihn zum Grabe
niederbeugte. Seine Leibesbeschaffenheit war durch die
außerordentlichen Aufregungen des Gemüths und durch die
leiblichen Anfechtungen, denen er ausgesetzt gewesen war,
bereits geschwächt; außerdem hatte das Gift, welches ihm in
Khaïbar beigebracht worden war, die Lebensquellen verdorben,
ihn quälenden Martern unterworfen und zu einem frühzeitigen
Greisenalter geführt. Sein Religionseifer wurde durch die
Vermehrung der leiblichen Gebrechen beunruhigt, und er
beschloß, die verbliebene Kraft auf eine Schlußpilgerfahrt
nach Mekka in der Absicht zu verwenden, daß dieselbe zum
Muster für alle künftigen Religionsgebräuche der Art dienen
könnte.
Die Bekanntmachung seiner frommen Absicht bewog Fromme aus
allen Theilen Arabiens, den Pilger-Propheten zu begleiten. Die
Straßen von Medina wurden mit den mannichfaltigen Stämmen aus
den kleinen und großen Städten, aus den Festungen der Berge
und den entfernten Gegenden der Wüste angefüllt und die
umliegenden Thäler waren mit den Zelten derselben besetzt. Es
war ein ergreifendes Gemälde von dem Siege eines Glaubens,
welcher diese vor Kurzem noch entzweiten, barbarischen und
sich bekriegenden Stämme jetzt als Brüder vereinigte und mit
Einem Gefühl religiösen Eifers beseelte.
Mohammed wurde von seinen neun Frauen, welche in Sänften
getragen wurden, bei dieser Gelegenheit begleitet. An der
Spitze eines unermeßlichen Zuges, Einige sagen von fünfzig,
Andere von neunzig, noch Andere von hundertundvierzehn tausend
Pilgern trat er die Reise an. Dabei befand sich auch eine
große Anzahl Kameele, welche mit Blumengewinden und
flatternden Wimpeln geschmückt waren und die Bestimmung
hatten, zum Opfer dargebracht zu werden.
Für die erste Nacht wurde wenige Meilen von Medina Halt
gemacht, bei dem Dorfe Dhu'l Holaifa, wo er und seine
Begleiter bei einer frühern Gelegenheit die Waffen abgelegt
und sich mit dem Pilgergewande bekleidet hatten. Frühzeitig
bestieg er am folgenden Morgen nach dem Gebete in der Moschee
sein Kameel Al Aswa, und als er in die Ebene von Baida
eintrat, sprach er das im Arabischen Talbijah (Talbidschah)
benannte Gebet, in welchem sich alle Begleiter mit ihm
vereinigten. Das Wichtigste dieser feierlichen Anrufung ist
Folgendes: »Hier bin ich in deinem Dienste, o Gott! Hier bin
ich in deinem Dienste! Du hast keinen Genossen. Dir allein
gebührt Anbetung. Von dir kommt alles Gute. Dir allein gehört
das Reich. Es giebt Keinen, der es mit dir theilt.« Dieses
Gebet wurde der arabischen Ueberlieferung zufolge von dem
Patriarchen Abraham gesprochen, als er von dem Gipfel des
Berges Kubeis bei Mekka dem ganzen Menschengeschlechte den
wahren Glauben predigte, und so wundervoll war die Gewalt
seiner Stimme, daß sie von jedem lebenden Wesen durch die
ganze Welt gehört wurde, und sogar das Kind im Mutterleibe
antwortete: »Hier bin ich in deinem Dienste, o Gott!«
In dieser Weise setzte das Pilgerheer seinen Weg fort,
indem es sich in einem meilenlangen Zuge über Berg und Thal
hinschlängelte und von Zeit zu Zeit die Wüsten von vereinigten
Gebeten und Ausrufungen widerhallen ließ. Keine feindlichen
Armeen hemmten oder belästigten ferner dasselbe, da in dieser
Zeit der Islam ungetrübt über ganz Arabien herrschte. Mohammed
näherte sich der heiligen Stadt über dieselben Höhen, welche
er bei der Einnahme überschritten hatte, und hielt den Einzug
durch das Thor Beni Scheiba, welches noch das Heilige genannt
wird. Wenige Tage nach seiner Ankunft traf Ali bei ihm ein.
Derselbe war aus Yemen zurückgeeilt und brachte eine Anzahl
Kameele zum Opfer mit sich.
Da diese Wallfahrt künftigen zum Muster dienen sollte, so
beobachtete Mohammed streng alle Gebräuche, welche er zufolge
patriarchalischen Herkommens beibehalten, oder einer
Offenbarung gemäß eingeführt hatte. Er war zu kraftlos und
siech, um zu Fuße gehen zu können, deshalb bestieg er sein
Kameel und machte auf diese Weise die Umgänge um die Kaaba wie
die Hin- und Herwanderungen zwischen den Hügeln Safa und Merva.
Bei der Opferung der Kameele schlachtete er dreiundsechzig mit
eigener Hand, nämlich eins für jedes Jahr seines Alters, und
Ali schlachtete zu derselben Zeit siebenunddreißig auf eigene
Rechnung. Mohammed schor sich hierauf das Haupt, indem er auf
der rechten Seite anfing und auf der linken endete. Die
abgeschnittenen Locken wurden unter seine Schüler gleichmäßig
vertheilt und als heilige Reliquien (Ueberbleibsel)
aufbewahrt. Khaled trug nachher stets eine auf dem Turban und
behauptete, daß sie ihm eine übernatürliche Stärke in der
Schlacht verliehe.
In dem Bewußtsein, daß die Lebenskraft in ihm dahinschwand,
suchte Mohammed während des letzten Aufenthalts in der Heilgen
Stadt seines Glaubens seine Lehren in die Gemüther und Herzen
seiner Bekenner tief einzugraben. Zu diesem Zwecke predigte er
häufig in der Kaaba von der Kanzel, oder unter freiem Himmel
von dem Rücken seines Kameels herab. »Merket auf meine Worte«,
pflegte er zu sagen, »denn ich weiß nicht, ob wir nach diesem
Jahre uns jemals hier wieder treffen werden. O, meine Zuhörer,
ich bin nur ein Mensch wie ihr; der Engel des Todes kann zu
jeder Zeit erscheinen, und ich muß seinem Gebote gehorchen.«
Hierauf pflegte er nicht allein Religionslehren und Gebräuche,
sondern auch Regeln für das Verhalten in allen Verhältnissen
des öffentlichen und häuslichen Lebens einzuprägen; und die
bei dieser Gelegenheit aufgestellten und eingeschärften
Vorschriften haben auf die Sittlichkeit, auf die Lebensweise
und Gewohnheiten der ganzen moslemischen Welt einen
umfänglichen und dauerhaften Einfluß ausgeübt.
Ohne Zweifel geschah es in Aussicht auf sein herannahendes
Ende und aus Besorgniß um das Wohlergehen seiner Verwandten
und Freunde nach seinem Tode und besonders seines Lieblings
Ali, welcher bei der Führung des neulichen Feldzugs in Yemen,
wie er bemerkte, Unzufriedenheit erregt hatte, daß er während
eines Augenblicks starker Aufregung und Begeisterung unter den
Zuhörern die Gelegenheit ergriff, an dieselben eine dringende
Bitte in feierlicher Weise zu richten. »Ihr glaubet«, sagte
er, »daß es nur Einen Gott giebt, daß Mohammed sein Prophet
und Apostel ist, daß es wirklich ein Paradies und eine Hölle
giebt, daß Tod und Auferstehung gewiß sind, und daß eine Zeit
bestimmt ist, wo Alle, welche aus den Gräbern hervorgehen, vor
ein Gericht gestellt werden.« Alle antworteten: »Wir glauben
diese Sachen.« Hierauf beschwor er sie feierlich bei den
Wahrheiten ihres Glaubens, seine Familie und besonders Ali
immer zu lieben und in Ehren zu halten. »Wer mich liebt«,
sagte er, »mag Ali als seinen Freund aufnehmen. Mag Gott
diejenigen beschirmen, welche ihm Freundschaft erzeigen, und
sie von seinen Feinden abwenden.«
Am Schlusse einer dieser Ansprachen, welche er unter freiem
Himmel vom Rücken seines Kameels herab hielt, soll folgender
berühmte Vers des Korans durch die Stimme Gottes selbst vom
Himmel gekommen sein: »Unheil komme am heutigen Tage über
diejenigen, welche ihre Religion verleugnet haben. Fürchtet
sie nicht, fürchtet mich. Am heutigen Tage habe ich eure
Religion vollendet und meine Gnade an euch erfüllt. Es ist
mein gnädiger Wille, daß der Islam euer Glaube sei.«
Bei Anhörung dieser Worte, sagen die arabischen
Geschichtsschreiber, fiel das Kameel Al Kaswa, auf welchem der
Prophet saß, auf die Kniee zur Anbetung nieder. Diese Worte,
fügen sie hinzu, waren das Siegel und der Schluß des Gesetzes,
denn nach ihnen erfolgten keine weiteren Offenbarungen.
Nachdem Mohammed alle Gebräuche der Wallfahrt vollbracht
und seinen Glauben vollständig dargestellt hatte, so sagte er
seiner Geburtsstadt das letzte Lebewohl und trat, sich an die
Spitze des Wallfahrtsheeres stellend, die Rückreise nach
Medina an. Als er die Stadt zu Gesicht bekam, erhob er seine
Stimme und rief aus: »Gott ist groß! Gott ist groß! Es giebt
nur Einen Gott; er hat keinen Genossen. Sein ist das Reich.
Ihm allein gebührt Preis und Ehre. Er ist allmächtig. Er hat
seine Verheißung erfüllt. Er hat seinem Diener beigestanden
und er allein hat alle Feinde desselben zerstreuet. Wir wollen
in unsere Wohnungen zurückkehren und ihn anbeten und preisen!«
So endete die Lebewohl-Pilgerfahrt, wie sie, weil sie die
letzte des Propheten war, genannt worden ist.