Fünfunddreißigstes Capitel - Abu Beker führt die jährliche
Pilgerschaft nach Mekka – Ali's Sendung zur Verkündigung einer
Offenbarung
Der heilige Mond der jährlichen Pilgerfahrt stand jetzt
bevor; aber Mohammed war mit öffentlichen und häuslichen
Angelegenheiten zu sehr beschäftigt, als daß er sich aus
Medina hätte entfernen können. Daher bevollmächtigte er Abu
Beker, für ihn als Emir oder Befehlshaber der Pilger, welche
von Medina nach Mekka sich zu begeben gedächten, einzutreten.
Demgemäß reiste Abu Beker an der Spitze von dreihundert
Pilgern mit zwanzig Kameelen zum Opfer ab.
Nicht lange hernach forderte Mohammed seinen Schwiegersohn
und ergebenen Jünger Ali zu sich, und indem er ihn auf Al Adha
oder das Kameel mit geschlitzten Ohren, das flüchtigste von
seinen Kameelen, setzte, drang er in ihn, in der größten
Schnelligkeit nach Mekka zu eilen, um dort vor der Menge der
aus allen Gegenden zusammengekommenen Pilger eine wichtige
Sure, d. i. ein Capitel des Korans, welches er so eben vom
Himmel empfangen hätte, zu verkündigen. Ali vollführte mit
gewohntem Eifer und Treue die Sendung. Er erreichte die
heilige Stadt, da sie sich auf dem Gipfel der großen
religiösen Festlichkeit befand. Als am Opfertage mit dem
Schlachten der Opferthiere im Thale Mina die Feierlichkeiten
der Wallfahrt vollendet waren, und Abu Beker gepredigt und das
Volk in den Lehren und Gebräuchen des Islams unterrichtet
hatte: so erhob sich Ali vor der ungeheuren, auf dem Hügel Al
Akaba versammelten Menge und kündigte sich als Boten des
Propheten an, welcher eine wichtige Offenbarung überbrächte.
Hierauf las er die Sure vor, deren Träger er war und in der
die Religion des Schwertes in ihrer ganzen Strenge dargelegt
wurde. Sie entband Mohammed von jedem Waffenstillstande und
von jedem Bündnisse mit den Götzendienern und andern
Ungläubigen, wenn sie in irgend einer Weise ihren
Zusicherungen untreu gewesen wären oder seinen Feinden
Beistand geleistet hätten. Sie gewährte Ungläubigen vier
Monate Duldung von der Zeit dieser Verkündigung an, während
welcher Monate sie auf der Erde sicher hin und her gehen
möchten, aber am Ende dieses Zeitraumes würde alle Nachsicht
aufhören; Kriege würden auf jede Weise, zu jeder Zeit und an
jedem Orte, mit offener Gewalt und mit List gegen diejenigen,
welche im Unglauben beharrten, geführt werden; es würde ihnen
keine Wahl gelassen, als den Glauben anzunehmen oder Tribut zu
zahlen. Die heiligen Monate und Orte würden ihnen nicht länger
Schutz bieten. »Wenn die Monate, in denen ihr sie nicht
angreifen dürft, vorüber sind,« sagte die Offenbarung, »so
tödtet die Ungläubigen, wo ihr sie nur findet, oder macht sie
zu Gefangenen; belagert sie oder lauert ihnen auf.« Die Bande
des Blutes und der Freundschaft mußten gleicher Weise gering
geachtet werden; die Gläubigen durften keine Gemeinschaft mit
den nächsten Verwandten und theuersten Freunden unterhalten,
würden diese im Götzendienste beharren. Nach dem Schlusse des
laufenden Jahres durfte es keinem Ungläubigen gestattet
werden, die heiligen Gränzen Mekkas zu betreten oder in den
Tempel Allahs einzugehen, ein Verbot, welches bis auf den
heutigen Tag fortbesteht.
Dieses nachdrückliche Capitel des Korans ist, wie man
glaubt, großen Theils durch das Verhalten einiger jüdischen
und abgöttischen Araber hervorgerufen worden, mit welchen
Mohammed Verträge geschlossen, die aber mit ihm unredlich
gespielt und sogar verrätherische Angriffe auf sein Leben
gemacht hatten. Es beweist jedoch das gestiegene Vertrauen,
welches er in Folge des Todes seines hinterlistigen und
mächtigen Feindes, Abdallah Ibn Obbas, und in Folge der
Bekehrung oder Unterjochung der arabischen Stämme fühlte. Es
war in der That ein entscheidender Schlag für die
ausschließliche Herrschaft seines Glaubens.
Als Abu Beker und Ali nach Mekka zurückkehrten, so sprach
der Erstere Staunen und Unzufriedenheit darüber aus, daß nicht
er zum Verkündiger einer so wichtigen Offenbarung gemacht
worden wäre, da sie mit seiner jetzigen Stellung im
Zusammenhange zu stehen schiene; er wurde aber durch die
Versicherung beruhigt, daß alle neuen Offenbarungen entweder
vom Propheten selbst, oder von Einem aus seiner unmittelbaren
Familie veröffentlicht werden müßten.