Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Joinville, 11. März 1875.

Ich bin einen Monat lang krank gewesen, und ich bin noch immer schwach ... Der Kummer hat mich krank gemacht, ich hätte nicht gedacht, daß es möglich wäre. Mein Arzt hat sich übrigens nicht getäuscht, trotzdem ich ihm das Ganze immer verbergen wollte. Viel Qualen hab' ich still erduldet, hab' all meine Verzweiflung hinuntergewürgt, ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Dann mußte eben die Reaktion kommen, der Kummer schlug mich nieder und streckte mich auf mein Lager hin, wo ich körperliche Qualen tragen lernte. Ich hatte starke Kopfschmerzen, ununterbrochen Fieber, und zeitweise lag ich im Delirium. Meine Erinnerungen an das Sonnenland erstanden dann in erstaunlicher Greifbarkeit, einer Fata Morgana gleich; ohne Unterlaß sahen meine Augen die Dünen von Dakar, die Sandwüsten von Bobdiarah. Der lange Winter in Joinville hatte auch dazu beigetragen, mich so herabzubringen, denn seine Kälte und seinen Schnee, all seine trübe Öde konnte ich auf die Dauer nicht ertragen...

Meine Kameraden, einige Unteroffiziere, wachten bei mir und besuchten mich in regelmäßiger Einteilung. Mein militärischer Diener hingegen verbrachte ganze Tage damit, auf Befehl des Arztes meinen Körper mit Melissensaft einzureiben, damit er sich neu belebe, und alle wähnten, daß ich vor dem Scheiden stehe, man wußte nicht wie, noch warum ...

Dennoch geschah es eines sonnigen Tages, daß ich mich erhob und sorgsam ankleidete.

Meine Beine trugen mich fast nicht mehr, aber ich konnte mich doch bis ins Freie schleppen. Und von diesem Tage an war ich gerettet.

Jetzt fühle ich mich immer wohler, und immer, wenn die Sonne kommt, verlasse ich das Haus ...

Ich war bisher nicht gewohnt, zu leiden, ich kannte weder Krankheit, noch diese grenzenlose Schwäche. Nun mir all dies unbekannte vertraut ward, ist es mir ein schmerzliches Verwundern.

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