Brief von Pierre Lotis Schwester.
Fontbruant 1876.
Lieber guter Bruder!
Ich hoffe, daß Du Dich nach und nach auf dem »Gladiateur«
eingewöhnen wirst, wie Dir Dein Kellerloch auf der »Couronne«
auch langsam zur Gewohnheit geworden war. Du weißt, daß
solches fast immer rasch geht. Doch auf phantasiereiche
Menschen üben die Dinge der Außenwelt so starken Einfluß aus!
Dein theoretischer Humor der Häßlichkeit Deiner Gefährten
gegenüber ließ mich erst herzlich lachen. Dann aber mußte ich
an Deine Worte eine Fülle praktischer Erwägungen knüpfen. Ich
für mein Teil bin ja auch immer stark beeindruckt von
physischer Häßlichkeit, die mich ganz seltsam gefangen nimmt,
und ich erachte es als eine Wohltat, daß ich in meiner
Umgebung nur hübsche Gesichter sehe; denn unter jenen, die wir
lieben, sind einige von strenger Schönheit, und andere haben
wieder die schönen Augen voll kluger Tiefe, die wir an keinem
geliebten Antlitz gern missen würden ...
Wie verschönt sich aber physische Häßlichkeit, wenn
Schönheit der Seele sie wunderbar von innen heraus belebt! Wie
herrlich wurden nicht die Gemälde der alten Meister, wenn sie
Häßlichkeit zum Vorwurf hatten, die sich selbst veredelte, sei
es durch den Funken des Geistes, der Inspiration oder der
Güte. Es scheint, daß sie oft mit Vorliebe nach solchem
Vorwurf suchten, besonders Tizian, wenn mein Gedächtnis nicht
trügt. Und welche Größe liegt dann stets darin.
Hand in Hand damit geht die Schönheit des Himmels. Die
Diener Gottes strahlen, ich weiß nicht welches innere Licht
aus, das ihnen göttlich im Antlitz leuchtet. Zeuge des ist
Tante Adele und andere ihrer Wesensart. Könntest Du Dir Tante
Adele als alte schwatzhafte Ungläubige vorstellen?
So erbitte ich denn Deine Nachsicht für die armen Leute,
die Du mir »voll bleicher Häßlichkeit und mit Krokodilaugen«
schilderst. Gib acht, es kommt ein Tag, an dem sie Dich
lieben, und dann werden sie Dir auch gefallen, und ich glaube,
mit all meinen klugen Reden sage ich Dir doch nur Dinge, die
Du längst schon weißt.
Marie.