Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord des »Tonnerre«.

Lorient, 2. März 1878.

Dies ist gegenwärtig meine Lage: Ich habe die Türkei verlassen, nachdem ich geschworen hatte, wiederzukehren, und keiner der Schritte, die ich unternehme, meinen Schwur zu halten, führte zum Ziel. Unterdessen wird mein armes Stambul geplündert. Die Nachrichten, die einander folgen, sind voll grauser Schrecknisse. Ich weiß nun, daß die Türken trotz all ihrem Mut den Krieg endgültig verloren haben, und ich muß mich fragen, was aus ihnen allen werden soll.

Wieder bin ich dem grauen, eintönigen Leben im Okzident verfallen, nachdem ich geträumt hatte, Bey oder Pascha zu sein. Mein Dasein ist mehr und mehr erfüllt von Unmöglichkeiten und Widersprüchen, und dessen, was mich umgibt, bin ich längst müde geworden.

Ich habe zu Beginn dieses Krieges eine Gelegenheit versäumt, die ich gewiß nie wiederfinden werde: Mir in der Türkei eine Stellung zu schaffen, die mir selbst, meinen Neigungen und Fähigkeiten gemäß gewesen wäre, und die ich einzig im Orient hätte finden können. Die Gelegenheit ging vorbei, und sie wird ohne Zweifel nicht wiederkehren, nun ich versäumte, sie im Vorüberfliehen am Schopf zu ergreifen. Jetzt ginge die Sache höchstens aufzuwärmen. Die mächtigen Würdenträger, die mich gestützt hätten, würden sich wohl kaum mehr des jungen »Giaour« erinnern, der sie einen Augenblick lang interessiert hatte. Und dann, wenn die Slawen siegen, und der alte Islam zerbirst, dann folgen meine Zukunftsträume dem Beispiel des Islam. Und zum zweitenmal in meinem Leben wird alles um mich untergehn – Hoffnungen, Träume von Liebe und Glück –, kurz alles, was für mich von dem Geschick Stambuls und des Propheten nicht zu trennen ist.

Von Zeit zu Zeit erhalte ich Nachrichten von Aziyadé, leichtes Geschwätz in türkischen Worten, verzweifelte, immer dringendere Briefe, in welchen sie mich beschwört, sie nicht zu verlassen. Im letzten Monat meines Weilens in Stambul haben ihre Ansichten sich gefestigt, und nun ist auch sie unduldsam geworden.

Achmet scheint im Kriege gefallen zu sein. Und dies ist für mich ein neuer Anlaß zu Besorgnis und Trauer.

Denn jetzt habe ich in Stambul keinen treu ergebenen Boten mehr, ich kann Aziyadé nicht mehr Antwort senden, und, warte ich noch länger, so verliere ich ihre Spur und habe keine Hoffnung, sie wiederzufinden.

Samuel ist nach Salonique zurückgekehrt, und ward dort wieder, was er ehemals war: Ein armer Schiffer ohne einen Sou im Vermögen.

Kédir-bey, meine Katze aus Eyoub, ist die begünstigste von uns fünfen, denn sie wurde eine der Katzen der Moschee und ist der Liebling der Derwische. Und sie wendete ihr ganzes Wesen einer Art von Heiligkeit zu, die ihr viele Mäuse und das Gnadenbrot für den Rest ihrer Tage sichert.

Das Haus jedoch, das einst all unser Glück beschirmte, ist lange schon ein Raub der Flammen geworden.

Da ich als französischer Offizier nicht mehr in die Türkei zurückkehren kann, will ich mich als Türke naturalisieren lassen: Nichts verbindet mich mit dem europäischen Okzident, wo ich nur Trauriges erleben mußte. Selbst ehe der Islam mich ganz erobert hatte, wollte ich aus der Heimat fort, und damals dachte ich an Polynesien, von welchem Lande ich einst so bezaubert war. Alles was sich Zivilisation oder theoretische Gleichberechtigung nennt, widert mich an. Der alte Orient ist wohl das Land, das mir Zuflucht bieten könnte, fern von allen Dampfmaschinen, sozialen Maskenscherzen und Fortschrittsideen. Und ist es mir dort verwehrt, ein Herr zu sein, gleichviel, dann werd' ich ein Mann aus dem Volke, ein »Banabak«. Aber ich werde meinen Platz an der Sonne haben und meinen Teil an jener Freiheit, die in Ländern, deren Gesetze nicht für jedermann erfunden wurden, das große Los der Energischen ist.

Hier ist die Langeweile, an der ich kranke, tief und hoffnungslos. In aller Aufrichtigkeit: Ich kann an nichts mehr glauben. Mein Leben hat ganz miserablen Zuschnitt und von welchem Gesichtspunkt aus ich es betrachte, überall weisen sich mir unüberwindliche Schwierigkeiten ...

Nichts freut mich mehr! Und ich weiß nichts, was diese Welt mir Neues oder Heiteres bieten könnte.

Besonders schwer aber drückt mich das Unglück, jedweden Glaubens bar zu sein, und hohen Preis würd' ich jetzt bezahlen, könnte ich den Islam mir zu eigen machen.

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