An Bord der »Couronne«.
In der Reede von Salonique, Mai 1876.
Die drei Tage, die auf die Hinrichtung der Mörder von
Frankreichs und Deutschlands Konsuln folgen, sind eine
Wartezeit. Rauschendes Lärmen füllt die Reede: Die Admirale
und Kommandanten besuchen einander ununterbrochen.
Kanonenschüsse werden mit Recht und Fug zu vielen Hunderten im
Tag abgegeben, und durch die Ankunft des Großfürsten Alexis
von Rußland erfährt dies lärmende Zeremoniell noch eine
Verschärfung.
Offiziere und Mannschaft gehen nur bewaffnet, nur
dienstlich ans Land. In Salonique herrscht Explosionsstimmung,
und der neue Pascha ist in arger Bedrängnis. In den Kapellen
der Stadt werden die Leichname der ermordeten Konsuln auf Eis
aufbewahrt, und man weiß nicht, wann sie beigesetzt werden
sollen, da diese Feierlichkeit leicht der Anlaß zu einem
allgemeinen Aufstand werden könnte.
Endlich, am 19. abends, als alle Vorbereitungen von der
türkischen Regierung getroffen waren, wurden die Generalstäbe
von den Behörden für den nächsten Morgen zur Leichenfeier
geladen.
Am 20., um sechs Uhr, setzen zahlreiche Boote Offiziere in
großer Gala ans Land. Abordnungen französischer, deutscher,
englischer, russischer, italienischer und österreichischer
Matrosen kommen in Waffen. Ungeheure Menschenmengen bedecken
die Kais, die Straßen, die Fenster und die Dächer. Ein Kordon
türkischer Soldaten bezeichnet den Weg, den der Zug nehmen
soll, und schließt zugleich vorsichtig die Straßeneingänge ab.
Die schweigende Menge scheint nicht sehr befriedigt zu sein,
wird aber durch Gewalt niedergehalten. Doch würde ein Nichts
genügen, um all dies künstliche Gleichgewicht ins Schwanken zu
bringen und ganz unberechenbaren Wirrwarr herbeizuführen.
Man begibt sich zuerst zum Trauergottesdienst in die
Kapelle der Französischen Schwestern, woselbst unseres Konsuls
Leiche aufgebahrt ist. Die griechischen Priester füllen das
linke Chorschiff, die Marineseelsorger das rechte. Vorn in der
ersten Reihe die Admiräle, der Pascha, die türkischen
Würdenträger. Links vom Sarge eine Abordnung deutscher
Matrosen. Rechts, gerade gegenüber, die französische
Matrosendeputation. Alle mit aufgepflanztem Bajonett und
Freunde für heute; doch messen sie sich gegenseitig mit einer
Neugier, der das Wohlwollen mangelt.
Dann heben Männer der Panzerfregatte »Gaulois« den Sarg auf
ihre Schultern und tragen ihn einen langen Weg zum Kai hinab,
vor dem die Kähne des Geschwaders warten. Der Klerus, die
Stäbe und eine große Schar hoher Beamter wohnen seiner
Einbootung bei, die Geschütze donnern den Salut. Dann bringt
der Kahn den Sarg an Bord des »Gaulois«, wo er verbleibt, bis
das Paketboot nach Marseille abgeht.
Und wieder setzt der Zug sich in Bewegung quer durch die
krummen Gassen des Judenviertels. Die Franzosen, die bis jetzt
an der Spitze geschritten sind, lassen nun den deutschen
Offizieren den Vortritt. Auch die Matrosen tauschen jetzt die
Rollen, die Franzosen gehen zur Linken, die Deutschen zur
Rechten, und so gelangen alle zur griechischen Kapelle der
Lazaristenbrüder. –
Den Hintergrund dieser Kapelle füllt antike vergoldete
Holzschnitzerei, die auf Goldgrund byzantinische Malereien
trägt. Vom Plafond hängen geflügelte Heilige und prächtige
Kronleuchter nieder.
Die Leiche des Konsuls von Deutschland ruht
lorbeergeschmückt auf Blumen in einem offenen Sarg. Das
Antlitz ist wund und zerrissen.
Rund um den Leichnam stehen Popen mit langen, ein wenig
schmutzigen Bärten, aber ihre sehr prunkvollen Mäntel sind mit
Seide und Gold gestickt. Etwas abseits hält sich der »Despot«
(der Erzbischof), in blendender Gewandung. All diese
feierlichen Männer tragen brennende Fackeln und Laternen an
bändergeschmückten Stangen. Und sie singen lange Litaneien auf
eine heitere Melodie und sind selbst voll näselnder
Fröhlichkeit.
Nach der Einsegnung wird der Leichnam von Männern der »Medusa«
(der deutschen Korvette), gehoben, und nun beginnt ein
endloses Wandern durch die Stadt, unter dem Vorantritt von
Fahnen und Popen. Es ist griechischer Brauch, die Toten so
offen durch die Straßen zu führen, und Frauen sollen weinen,
wenn sie vorüberziehen.
Der lange Zug bewegt sich ungefähr eine Stunde lang durch
unmögliche Stadtteile, deren Straßen zuweilen so eng sind, daß
kaum zwei Männer nebeneinander Platz haben. Überall seltsame
Dinge, wackelnde Terrassen, versengte Fensterrahmen,
vorspringende Balkone, und alles erfüllt von Orientalen, die
ihre schreiende Farbenpracht schier scheckig wirken läßt.. Die
Dächer, die Bäume, jeder Winkel an den Häusern, alles ist zum
Brechen voll von neugierigen Türken, Juden und Griechen. Alte
Turbanträger wiegen sich auf den Zweigen der Platanen. Wenn
die Menge sich auf unsere Köpfe niederfallen ließe, es würde
vollständig genügen, uns alle zu vernichten. Zweimal gibt es
auch Panik: das Ende des Zuges wird von Neugierigen eingeengt,
es setzt Fußstöße und Faustschläge. Die Matrosen ziehen die
Bajonette und schon wähnt man, daß dies der Funke sei, die
große Feuersbrunst zu entzünden: Doch dank der Polizei des
Sultans wird die Gefahr abgewendet.
Maueranschläge geben einen Erlaß des Pascha kund. Hier
seine Übersetzung:
1. Jedes Haus, aus dem, und sei es selbst durch Zufall, ein
Gegenstand zur Erde fällt, wird sofort dem Erdboden
gleichgemacht und die Bewohner gehängt.
2. Wer immer es wagt, in der Menge eine Waffe zu tragen,
wird sofort nach Betretung aufgeknüpft.
Im Hof der griechischen Metropolitankirche wird der
Leichnam der Erde wiedergegeben. Fernher donnert eine Salve
von sämtlichen Geschützen der Reede.
Dann löst der Zug sich auf, man besteigt die Barken, und
ein Seufzer der Erleichterung weitet des Pascha Brust: Die
große Vorstellung ist zu Ende, und kein unliebsamer
Zwischenfall hat sie gestört.