Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord der »Couronne«.

In der Reede von Salonique, Mai 1876.

Die drei Tage, die auf die Hinrichtung der Mörder von Frankreichs und Deutschlands Konsuln folgen, sind eine Wartezeit. Rauschendes Lärmen füllt die Reede: Die Admirale und Kommandanten besuchen einander ununterbrochen. Kanonenschüsse werden mit Recht und Fug zu vielen Hunderten im Tag abgegeben, und durch die Ankunft des Großfürsten Alexis von Rußland erfährt dies lärmende Zeremoniell noch eine Verschärfung.

Offiziere und Mannschaft gehen nur bewaffnet, nur dienstlich ans Land. In Salonique herrscht Explosionsstimmung, und der neue Pascha ist in arger Bedrängnis. In den Kapellen der Stadt werden die Leichname der ermordeten Konsuln auf Eis aufbewahrt, und man weiß nicht, wann sie beigesetzt werden sollen, da diese Feierlichkeit leicht der Anlaß zu einem allgemeinen Aufstand werden könnte.

Endlich, am 19. abends, als alle Vorbereitungen von der türkischen Regierung getroffen waren, wurden die Generalstäbe von den Behörden für den nächsten Morgen zur Leichenfeier geladen.

Am 20., um sechs Uhr, setzen zahlreiche Boote Offiziere in großer Gala ans Land. Abordnungen französischer, deutscher, englischer, russischer, italienischer und österreichischer Matrosen kommen in Waffen. Ungeheure Menschenmengen bedecken die Kais, die Straßen, die Fenster und die Dächer. Ein Kordon türkischer Soldaten bezeichnet den Weg, den der Zug nehmen soll, und schließt zugleich vorsichtig die Straßeneingänge ab. Die schweigende Menge scheint nicht sehr befriedigt zu sein, wird aber durch Gewalt niedergehalten. Doch würde ein Nichts genügen, um all dies künstliche Gleichgewicht ins Schwanken zu bringen und ganz unberechenbaren Wirrwarr herbeizuführen.

Man begibt sich zuerst zum Trauergottesdienst in die Kapelle der Französischen Schwestern, woselbst unseres Konsuls Leiche aufgebahrt ist. Die griechischen Priester füllen das linke Chorschiff, die Marineseelsorger das rechte. Vorn in der ersten Reihe die Admiräle, der Pascha, die türkischen Würdenträger. Links vom Sarge eine Abordnung deutscher Matrosen. Rechts, gerade gegenüber, die französische Matrosendeputation. Alle mit aufgepflanztem Bajonett und Freunde für heute; doch messen sie sich gegenseitig mit einer Neugier, der das Wohlwollen mangelt.

Dann heben Männer der Panzerfregatte »Gaulois« den Sarg auf ihre Schultern und tragen ihn einen langen Weg zum Kai hinab, vor dem die Kähne des Geschwaders warten. Der Klerus, die Stäbe und eine große Schar hoher Beamter wohnen seiner Einbootung bei, die Geschütze donnern den Salut. Dann bringt der Kahn den Sarg an Bord des »Gaulois«, wo er verbleibt, bis das Paketboot nach Marseille abgeht.

Und wieder setzt der Zug sich in Bewegung quer durch die krummen Gassen des Judenviertels. Die Franzosen, die bis jetzt an der Spitze geschritten sind, lassen nun den deutschen Offizieren den Vortritt. Auch die Matrosen tauschen jetzt die Rollen, die Franzosen gehen zur Linken, die Deutschen zur Rechten, und so gelangen alle zur griechischen Kapelle der Lazaristenbrüder. –

Den Hintergrund dieser Kapelle füllt antike vergoldete Holzschnitzerei, die auf Goldgrund byzantinische Malereien trägt. Vom Plafond hängen geflügelte Heilige und prächtige Kronleuchter nieder.

Die Leiche des Konsuls von Deutschland ruht lorbeergeschmückt auf Blumen in einem offenen Sarg. Das Antlitz ist wund und zerrissen.

Rund um den Leichnam stehen Popen mit langen, ein wenig schmutzigen Bärten, aber ihre sehr prunkvollen Mäntel sind mit Seide und Gold gestickt. Etwas abseits hält sich der »Despot« (der Erzbischof), in blendender Gewandung. All diese feierlichen Männer tragen brennende Fackeln und Laternen an bändergeschmückten Stangen. Und sie singen lange Litaneien auf eine heitere Melodie und sind selbst voll näselnder Fröhlichkeit.

Nach der Einsegnung wird der Leichnam von Männern der »Medusa« (der deutschen Korvette), gehoben, und nun beginnt ein endloses Wandern durch die Stadt, unter dem Vorantritt von Fahnen und Popen. Es ist griechischer Brauch, die Toten so offen durch die Straßen zu führen, und Frauen sollen weinen, wenn sie vorüberziehen.

Der lange Zug bewegt sich ungefähr eine Stunde lang durch unmögliche Stadtteile, deren Straßen zuweilen so eng sind, daß kaum zwei Männer nebeneinander Platz haben. Überall seltsame Dinge, wackelnde Terrassen, versengte Fensterrahmen, vorspringende Balkone, und alles erfüllt von Orientalen, die ihre schreiende Farbenpracht schier scheckig wirken läßt.. Die Dächer, die Bäume, jeder Winkel an den Häusern, alles ist zum Brechen voll von neugierigen Türken, Juden und Griechen. Alte Turbanträger wiegen sich auf den Zweigen der Platanen. Wenn die Menge sich auf unsere Köpfe niederfallen ließe, es würde vollständig genügen, uns alle zu vernichten. Zweimal gibt es auch Panik: das Ende des Zuges wird von Neugierigen eingeengt, es setzt Fußstöße und Faustschläge. Die Matrosen ziehen die Bajonette und schon wähnt man, daß dies der Funke sei, die große Feuersbrunst zu entzünden: Doch dank der Polizei des Sultans wird die Gefahr abgewendet.

Maueranschläge geben einen Erlaß des Pascha kund. Hier seine Übersetzung:

1. Jedes Haus, aus dem, und sei es selbst durch Zufall, ein Gegenstand zur Erde fällt, wird sofort dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner gehängt.

2. Wer immer es wagt, in der Menge eine Waffe zu tragen, wird sofort nach Betretung aufgeknüpft.

Im Hof der griechischen Metropolitankirche wird der Leichnam der Erde wiedergegeben. Fernher donnert eine Salve von sämtlichen Geschützen der Reede.

Dann löst der Zug sich auf, man besteigt die Barken, und ein Seufzer der Erleichterung weitet des Pascha Brust: Die große Vorstellung ist zu Ende, und kein unliebsamer Zwischenfall hat sie gestört.

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