Letzte Empfehlung seitens eines betagten
Vaters
Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen
aller Preis und alle Dankbarkeit ist Allahs
und der Segensgruß und Friede sei mit dem Propheten Allahs.
Allahs Gruß sei mit ihm und den Edlen seines Hauses.
Dies ist eine letzte Empfehlung seitens
eines betagten Vaters, der sein Leben mit Müßiggang und
Ahnungslosigkeit verbrachte und nun auf das ewige Reich zugeht
– ohne gute Taten in der Hand und nur mit einem Brief, schwarz
gefüllt mit schlechten Taten; auf die Vergebung Allahs
hoffend. Es ist eine letzte Empfehlung an einen jungen Sohn,
der mit den Problemen des Menschseins ringt, und der die
Freiheit besitzt, den geraden Gottesweg (und Gott möge ihn in
seiner endlosen Huld rechtleiten) oder – Gott bewahre – einen
anderen Weg zu wählen (Gott möge ihn in Seiner Barmherzigkeit
vor dem Irrtum behüten).
Mein Kind! Das Buch, das ich dir schenke,
handelt ein wenig von dem Ritualgebet (Salat) der Mystiker und
dem spirituellen Pfad der Wanderer zu Gott; allerdings vermag
die Feder eines Menschen wie mir diese Reise nicht richtig zu
schildern. Ich bekenne: Was ich schrieb, geht nicht über ein
paar Worte und Sätze hinaus, und ich selber habe bislang von
diesem Wenigen noch keinen Schimmer erreicht.
Mein Sohn! Was diese Expedition in den
Himmel in sich birgt, ist der intensivste Wunsch der Leute der
Erkenntnis (Ahl-ul-Marifa). Sie bleibt uns verwehrt (Simurgh
lässt sich nicht fangen, falte das Fangnetz zusammen)
– aber wir dürfen nicht die Hoffnung aufgeben, dass Gott, der
Barmherzige, uns huldvoll beachtet, denn Er, der
Allerherrlichste und Allerhöchste, hilft den Schwachen; ist
Helfer der Bedürftigen.
Mein Liebling! Es geht um die Reise von
den Geschöpfen zu der Wahrheit (Gott), von der Vielfalt zu der
Einheit (Gott) und von der begrenzten materiellen Welt zur
Allmacht (Dschabarut) – dem Reich der Allmacht, welches über
dem Reich der göttlichen Namen und Attribute steht, hoch
hinauf bis zur Grenze der vollständigen Entwerdung (Fana’a),
welche bei der ersten Niederwerfung (Sadschda) eintritt, und
daraufhin die Entwerdung von der Entwerdung
welche nach dem Bewusstsein (völliger Klarheit) während der
zweiten Niederwerfung (Sadschda) erzielt wird. Dies ist der
vollendete Kreis des Seins von Allah (min Allah) zu Allah (ila
Allah). In diesem Zustand geht es nicht mehr um eine
Niederwerfung und einen Sich-Niederwerfenden oder um Jenen,
dem die Niederwerfung in den Staub gilt, noch um einen
Dienenden (Abid) und einem, dem gedient wird (Mabud) – einen
Anbetenden und Angebeteten, denn:
„Er ist der Erste und der Letzte, der
Äußere und der Innere, ...“
(Heiliger Qur´an 57:3)
Mein Sohn! Allem voran empfehle ich dir,
die Rangstufen
der Leute der Erkenntnis (Ahl-ul-Marifa) nie zu leugnen, denn
das wäre die Art der Leute der Ignoranz (Ahl-ul-Dschahaal).
Hüte dich auch vor denen, die die Rangstufen der Schutzfreunde
(Auliya) leugnen: Es sind Wegelagerer, die den Weg zu Gott
belagern.
Mein Kind! Befreie dich von der Ich-Sucht
und der Ich-Orientierung, denn sie sind das Erbe Satans.
Aufgrund von Egozentrik und Egoismus hat Satan den Befehl
Gottes – des Hocherhabenen – verweigert, sich vor Seinem
Statthalter
und aufrichtigen Diener des Allerherrlichsten und
Allerhöchsten – niederzuwerfen. Alle Probleme der Kinder Adams
gehen auf diese Hinterlassenschaft Satans zurück, welche den
Ursprung von Aufruhr und Zwietracht bildet; vielleicht sind
bezüglich des edlen Verses
„Kämpft gegen sie, bis kein Zwiespalt
mehr besteht und die Religion nur Gott gilt ...“ (Heiliger
Qur´an 2:193)
in einigen seiner Interpretationsebenen
der Hinweis auf die Große Anstrengung (Dschihad Akbar)
und der Kampf gegen die Wurzeln des Aufruhrs gemeint, denn der
Großsatan und seine Heereshorden haben tief im Boden der
Herzen überall ihr Zweig- und Wurzelgestrüpp ausgebreitet.
Jeder hat die Aufgabe, sich um die Beseitigung der Zwietracht,
die aus seinem Inneren und aus seiner Umgebung herrührt, zu
bemühen und gegen sie die Anstrengung (Dschihad) zu führen.
Wenn diese Anstrengung (Dschihad) zum Sieg führt, dann wird
alles und jeder erlösend gesunden.
Mein Sohn! Versuche diesen Sieg oder
einige Stufen dieses Sieges zu erreichen. Sei eifrig und
vermindere die Vorlieben der Seele, welche keine Grenzen
kennen! Bitte
Gott den Höchsterhabenen, Allerherrlichsten und Allerhöchsten,
um Beistand, denn ohne Seine Hilfe kann niemand etwas
erreichen. Das tägliche Lobpreisgebet, das Ritualgebet
(Salat), diese Himmelfahrt der Mystiker und Reise der
Gottliebenden, ist der zu diesem Ziel führende Weg. Wenn du –
wenn wir – das Glück haben, einen Gebetsabschnitt (Raka)
dieses Preisgebets zu beten und die verborgenen Lichtstrahlen
in ihm und seine verhüllten Geheimnisse anzuschauen, und sei
es nur so weit wir es erfassen können, werden wir ein wenig
von dem Ziel und den Zielen der Freunde Gottes verspüren und
einen Ausblick auf das zur Reise in den Himmel führende Gebet
des Fürsten der Propheten und der Mystiker – der Friede sei
mit ihm und der Friede und der Gottesgruß sei mit den Edlen
aus seinem Hause – erlebt haben. Gott, der Beglückenden (Mannaan),
möchte uns und euch diese große Gnade erweisen. Der Weg ist
somit weit, voller Gefahren und erfordert viel Reiseproviant.
Und der Reiseproviant eines Jemanden wie mir ist gleich Null
oder sehr wenig, es sei denn die Huld des Freundes, der der
Allerherrlichste und Allerhöchste ist, wird zuteil und hilft.
Mein Liebling! Nutze die jungen Jahre
entsprechend dem, was noch von ihnen verblieben ist, denn im
Alter gleitet alles aus der Hand, selbst die Beachtung des
Jenseits und die Hinwendung zu Gott, dem Erhabenen. Es gehört
zu den gewaltigen Intrigen Satans und dessen befehlender Seele
(Nafs-ul-Amara),
jungen Leuten Heil und Heilung im Alter zu versprechen, damit
sie in Nachlässigkeit und Ahnungslosigkeit die Jugend
vergeuden; den Gealterten aber verspricht er ein langes Leben.
Und bis zum letzten Augenblick hält er den Menschen mit seinen
leeren Versprechungen vom Gottesgedenken und der
ausschließlichen Redlichkeit (Ichlas)
ab und raubt ihm noch im letzten Augenblick den Glauben, wenn
er ihn nicht schon vorher geraubt hat.
So erheb dich in jungen Jahren, in denen
du mehr Kräfte besitzt, zur Anstrengung (Dschihad) und wende
dich von jedem ab,
außer von dem Allerherrlichsten und Allerhöchsten; und festige
deine Verbindung – wenn du eine hast – so gut wie möglich; und
wenn du – Gott bewahre – keine Verbindung hast, so erlerne sie
und gib dir Mühe, sie zu stärken, denn kein Wesen außer dem
Allerherrlichsten und Allerhöchsten ist einer innigen
Verbindung würdig. Sogar die Verbindung zu den Freunden Gottes
wird zur Fußangel des Teufels, sobald sie nicht der
Intensivierung der Verbindung zu Ihm dient. Satan versperrt
auf jede Art und Weise den Weg des Rechtes und der Wahrheit.
Blick nie mit Genugtuung auf dich und deine Taten. Dies haben
die Freunde der Redlichkeit (Auliya-u-Chalas) nie getan,
vielmehr haben sie sich als Nichts betrachtet. Und betrachte
manchmal deine guten Eigenschaften als Schlechtes (Sayyiat).
Mein Sohn! Je größer der Rang des Wissens wird, desto mehr
wächst das Gefühl der Geringfügigkeit alles anderen, was außer
Ihm, dem Allherrlichsten und Allerhöchsten, ist.
Im täglichen Lobpreisgebet – dieser
Sprossenleiter zur Ankunft bei Gott – folgt jeder Lobpreisung
der Ausspruch “Allahu Akbar“ (Allah ist am größten).
Und an der Schwelle zum Gebet erfolgt ebenso dieser Ruf: Allah
ist am größten! Das ist Hinweis darauf, dass Gott größer ist
als jede Lobpreisung, und sei es die größte Lobpreisung,
nämlich das Ritualgebet (Salat). Und nach Abschluss des
Ritualgebets werden Größenpreisungen (Takbirat)
gesprochen – und es wird mehrmals wiederholt “Allah ist am
größten“. Dies vergegenwärtigt, dass Er viel größer ist, als
dass es durch sein Wesen, seine Attribute und sein Wirken
beschreibbar wäre. Ach, was sage ich da! Wer soll hier
beschreiben können?! Was soll er beschreiben? Und wen
beschreiben? Und in welcher Sprache beschreiben und in welche
Worte fassen? Ist doch die gesamte Welt, von den höchsten
Stufen des Seins bis zu den allerniedrigsten, ein Nichts! Nur
Er ist! Was vermag jemand über das absolute Sein zu sagen?!
Und wäre die Anweisung Gottes, des Allerhabenen und die
Erlaubnis des Allerherrlichsten und Allerhöchsten nicht
gewesen, hätte vielleicht keiner von den Heiligen ein Wort
über Ihn gesagt; Und zugleich ist alles, was ist,
ausschließlich Sein Wort und niemand kann sich dem Gedenken (Dhikr)
Seiner widersetzen, jedes Gedenken ist Sein Gedenken.
„Und dein Herr hat befohlen: Verehrt
keinen außer Ihm ...“
(Heiliger Qur´an 17:23)
und:
„Dir allein dienen wir und Dich allein
bitten wir um Hilfe“
(Heiliger Qur´an 1:5)
wobei dies vielleicht ein Gedenken in der
Sprechweise Gottes ist, welches er allen Geschöpfen übersandt
hat, damit sie damit Seiner gedenken. Und dann wäre
„...und es gibt nichts, was Seine
Herrlichkeit nicht dankpreist; ihr aber versteht deren
Dankpreisung nicht...“ (Heiliger Qur´an 17:44)
dementsprechend das Gedenken Gottes aus
dem Munde der Vielfalt.
Und wenn dem nicht so sein sollte, so ist Er jedenfalls:
Dankpreisung (Hamd), Dankpreisender (Hamid) und
Dankgepriesener (Mahmud)!
Denn:
Wahrlich, dein Herr ist Dankpreisender
sowie:
„Allah ist das Licht der Himmel und
der Erde ...“
(Heiliger Qur´an 24:35)
Mein Sohn! Wir, die wir nicht vermögen,
Ihm für Seine endlosen Wohltaten zu danken, sollten besser
nicht den Dienst an Seinen Dienern versäumen, denn der Dienst
an ihnen ist Gott-Dienen, weil alle von Ihm kommen. Niemals
solltest du dich beim Dienst am Volke Allahs als deren
Gläubiger sehen, denn es sind diese Menschen, die das Recht
haben, dass wir ihnen zu Dank verpflichtet sind, weil sie ein
Mittel für den Dienst gegenüber Ihm, dem Allerherrlichsten und
Allerhöchsten sind. Sei auch, wenn du ihnen dienst, nicht nach
Ruhm und Beliebtheit bestrebt, denn das ist in sich eine List
Satans, die uns in ihren Schlund hinabzieht. Beim Dienste an
den Dienern Gottes entscheide dich für das, was ihnen den
größten Nutzen bringt, und nicht für das, was dir oder deinen
Freunden am meisten nützt. Dies wird Zeichen deiner
Aufrichtigkeit an der heiligen Schwelle zu Ihm, dem Herrlichen
und Höchsten sein.
Mein lieber Sohn! Gott ist gegenwärtig
und die Welt ist Seine Gegenwart. Das Blatt unserer Seele ist
einer der Briefe mit unseren Taten. Versuche dich für jede
Beschäftigung und Tat, die dich Ihm näher bringen, zu
entscheiden, denn das wird Seine Zufriedenheit, die
Zufriedenheit des Allerherrlichsten und Allerhöchsten
bedeuten.
Bitte sag in Gedanken nicht zu mir:
„Wenn du die Wahrheit sagst, warum bist du selber nicht so?“
Ich weiß doch, dass keine einzige Eigenschaft der Leute
reiner, empfänglicher Herzen auf mich zutrifft. Und ich
fürchte, dass diese zerbrochene Feder Iblis und der bösen
Seele dient, und ich morgen gerügt und bestraft werde. Aber im
Kern ist das Geschriebene wahr, auch wenn es jemand wie ich
schreibt, der nicht vollkommen von teuflischen Eigenschaften
frei ist. Und in diesen letzten Atemzügen suche ich Zuflucht
bei Gott dem Höchsterhabenen und hoffe auf Hilfe und Fürbitten
seitens Seiner Freunde, den Freunden des Herrlichen und
Höchsten.
Oh Gott, Du selber nimm Dich dieses
schwachen alten Mannes und des jungen Ahmads
an, und gib, dass wir ein gutes Ende nehmen. Gewähre uns in
deiner umfassenden Barmherzigkeit Einlass an der Palastpforte
zu deiner Herrlichkeit und Pracht.
Und der Friede sei mit denen, die der
Rechtleitung folgen.
Nacht zum 15. des Rabi-ul-Awwal 1407
(18.11.1986)
Ruhullah al-Musawi al-Chomeini