Tanzimat
  Tanzimat

Aussprache: tanzhiymaat
arabisch:
تنظيمات
persisch:
تنظيمات
englisch: Tanzimat

1839 - 1876 n.Chr.

.Bücher von Allama Tabatabai finden Sie im Verlag Eslamica.

Tanzimat (Reorganisation) war eine Reformperiode der Osmanen während der Zerfallperiode. Sie begann 1839 n.Chr. begann und endete mit der ersten Verfassung der Osmanen im Jahr 1876.

Die Tanzimat-Ära begann mit dem Ziel, das untergehende Osmanische Reich durch sanfte und schrittweise Transformation zu Modernisierung, um die Herrschaft der Osmanen zu festigen. Die Periode war gekennzeichnet durch verschiedene Modernisierungsansätze, die teils in Kopie der Westlichen Welt versuchte den zunehmenden Einfluss der Westlichen Welt und die Angriffe auf die territoriale Integrität abzuwehren. Mit Reformen sollte vor allem der Zusammenhalt im Staat gestärkt werden, da Kolonialmächte durch intensive Propaganda zum Nationalismus die Spaltung des Reiches angestrebt haben.

Teil der Reformpolitik war eine Wirtschaftspolitik, die auf dem Balta Liman Vertrag  von 1838 beruhte. Während sich die Osmanen Investitionen der Westlichen Welt erhofften, war der Vertrag maßgeblich für die Zerstörung der eigenen Industrie mitverantwortlich.

Viele Änderungen wurden vorgenommen, die allesamt im Sinn der Westlichen Welt erfolgten. Unter dem Deckmantel bürgerliche Freiheiten zu verbessern wurde eine zunehmende Schamlosigkeit und Zerstörung der Familienstrukturen propagiert. Entsprechend sahen viele Muslim darin einen ausländischen Einfluss auf die Welt des Islam. Das führte zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen der Bevölkerung und der Hohen Pforte, was die Umsetzung notwendiger Reformen zusätzlich erschwerte.

Während der Tanzimat-Zeit wurden letztendlich eine Reihe von Reformen durchgeführt, die fast alle im Sinn der Westlichen Welt waren. Dazu zählten unter anderem die Verfassungsreform, die Reform der Armee, des Bankensystems, die Einführung eines säkularen Rechts und Abschaffung des islamischen Rechts [scharia] und damit Straffreiheit für Homosexualität. Aber auch sinnvolle Reformen wurden durchgeführt. Am 23. Oktober 1840 wurde das osmanische Postministerium gegründet.

Die Reformen wurden von Mahmut II. und seinem Sohn Abdülmecit I. und prominenten, oft in Europa ausgebildeten Bürokraten angetrieben. Viele symbolischen Veränderungen, wie z.B. Änderungen der Uniformen, zielten darauf ab, die Denkweise der Kleidungsträger zu ändern. Viele der mit der Regierung verbundenen Beamten wurden ermutigt, einen westlicheren Kleidungsstil zu tragen. Die Reformen wurden stark vom Napoleonischen Kodex und dem französischen Recht unter dem Zweiten Französischen Reich beeinflusst, was direkt auf die zunehmende Zahl osmanischer Studenten zurückzuführen war, die in Frankreich ausgebildet wurden.

Eine Politik namens Osmanismus sollte auch alle in den osmanischen Gebieten lebenden Völker vereinen. Die Politik begann offiziell mit dem Edikt von Gülhane von 1839. Die Ära endete 1876 mit der Schaffung der Verfassung. Als Vater der Tanzimat gilt Mustafa Raschid Pascha.

Zu den Stationen der Tanzimat zählen:

bullet Edikt von Gülhane (1839 n.Chr.)
bullet Islahat Ferman - Hatt-i Hümayun, volle rechtliche Gleichheit für Bürger aller Religionen (1856)
bulletEinführung der ersten osmanischen Papierbanknoten (1840)
bulletEröffnung der ersten Postämter des Reiches (1840)
bulletUmstrukturierung des Finanzsystems (1840)
bulletGründung des Meclis-i Maarif-i Umumiye (1841), der ein Prototyp des Ersten Osmanischen Parlaments (1876) war
bulletNeuorganisation der Armee und eine regelmäßige Methode zur Rekrutierung, Erhebung der Armee und Festlegung der Dauer des Militärdienstes (1843–44)
bulletAnnahme einer osmanischen Nationalhymne und einer osmanischen Nationalflagge (1844)
bulletErste landesweite osmanische Volkszählung im Jahr 1844 (nur Steuerzahler und damit männliche Bürger wurden gezählt)
bulletErster nationaler Personalausweis (offiziell als Mecidiye-Ausweispapier oder informell als Kopfpapier bezeichnet, 1844)
bulletEinrichtung eines Rates für öffentlichen Unterricht (1845) und des Bildungsministeriums (Bildungsministerium des Mekatib-i Umumiye, 1847, das später zum Bildungsministerium wurde, 1857)
bulletAbschaffung der letzten verbliebenen Sklaverei und des Sklavenhandels in Provinzen (1847)
bulletGründung der ersten modernen Universitäten (Darul-Funun, 1848), Akademien (1848) und Lehrerschulen (Darul-Muallimin, 1848)
bulletEinrichtung des Gesundheitsministeriums (Medizinministerium, 1850)
bulletHandels- und Handelsgesetzbuch (1850);
bulletGründung der Akademie der Wissenschaften (Encumen-i Daniş, 1851)
bulletGründung der Firma-i Hayriye, die die ersten mit Dampf betriebenen Pendlerfähren einsetzte (1851)
bulletGründung der modernen Gemeindeverwaltung in Istanbul (Sehremaneti, 1854) und des Stadtplanungsrates (Intizam-i Sehir, 1855)
bulletModernisierung der Wehrpflicht (1856)
bulletEinrichtung der ersten Telegraphennetze (1847–1855) und Eisenbahnnetze (1856)
bulletGründung der Osmanischen Zentralbank (ursprünglich 1856 als Bank-ı Osmanî gegründet und später 1863 als Bank-ı Osmanî-i Şahane umstrukturiert) und der 1866 gegründeten Osmanischen Börse (Dersaadet Tahvilat Exchange) )
bulletUmstrukturierung der Ländereien (1857)
bulletErlaubnis für private Verlage und Druckereien mit der Serbesti-i Kürşad-Verordnung (1857)
bulletStraffreiheit für Homosexualität (1858)
bulletEinrichtung der Schule für den öffentlichen Dienst, einer Hochschule für Zivilisten (1859)
bulletGründung der Fakultät für Wirtschafts- und Politikwissenschaften (Mekteb-i Mülkiye, 1859)
bulletRegulierung von Presse und Journalismus (1864)
bulletGründung des kaiserlichen osmanischen Gymnasiums in Galatasaray, einer weiteren Hochschule für Zivilisten (1868)
bulletStaatsangehörigkeitsgesetz von 1869 zur Schaffung einer gemeinsamen osmanischen Staatsbürgerschaft unabhängig von religiösen oder ethnischen Spaltungen (1869).

Die Tanzimat-Reformen hatten insgesamt weitreichende Auswirkungen. Zu denjenigen, die in den während der Tanzimat-Zeit eingerichteten Schulen unterrichtet wurden, gehörten bedeutende Persönlichkeiten der abgespaltenen Nationalstaaten, die sich aus dem Osmanischen Reich entwickeln sollten. Das Tanzimat-System konnte aber den Machthunger der stärker werdenden Westliche Welt nicht stillen. Es wurde letztendlich durch Verhandlungen mit den Großmächten nach dem Krimkrieg aufgehoben. Als Teil der Charta von 1856 forderten die europäischen Mächte eine viel stärkere Souveränität für ethnische Gemeinschaften innerhalb des Reiches. Dies diente dazu, die christliche Mittelschicht und ihre wirtschaftliche und politische Macht zu stärken mit dem Ziel der Abspaltung vom Osmanischen Reich. Ähnliche spalterische Entwicklungen wurden durch die Westliche Welt auch in Nordafrika und Asien gefördert bis das Osmanische Reich zusammengebrochen ist.

Die Reformen erreichten 1876 ihren Höhepunkt mit der Umsetzung einer osmanischen Verfassung, die die Macht des Sultans einschränkte. Danach kam es zu Verwerfungen innerhalb des Hofes, so dass 1876 als Ende der Tanzimat-Ära angesehen wird. Viele heutige Staaten leiden heute noch unter den in der Tanzimat-Ära eingeläuteten Reformen. So geht die undemokratische Verfassung des dadurch unregierbaren Libanon zwar auf den französischen Kolonialismus zurück, aber die geistigen Weichen wurden in der Tanzimat-Ära gestellt.

Die Tanzimat-Ära ist auch maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass aufgrund der Landreform große Ländereien in Palästina von russischen Juden aufgekauft werden konnten, was später zur Gründung von Israel führen sollte.

In Armenien wurde die armenische Nationalverfassung (osmanisch: "Nizâmnâme-i Millet-i Ermeniyân") von 1863 von der osmanischen Regierung gebilligt. Er bestand aus 150 Artikeln, die von armenischen Intellektuellen verfasst wurden und die Befugnisse des armenischen Patriarchen unter dem osmanischen System und der neu gebildeten "armenischen Nationalversammlung" definierten.

Die Historikerin Zeynep Çelik beschrieb die Wirkung der Tanzimat-Ära mit folgenden Worten: "Zusammenfassend führte das Osmanische Reich von 1838 bis 1908 seinen letzten, aber zum Scheitern verurteilten Überlebenskampf durch. Um sich von der Wirtschaftskrise und der technologischen Unterentwicklung zu erholen, versuchte es, eine Reihe von sozialen und institutionellen Reformen auf Basis westlicher Modelle durchzuführen. Diese Reformen, die nicht gut in die osmanische Gesellschaft übernommen und nicht auf das Herz des Problems ausgerichtet waren, konnten das Reich nicht "retten". Sie führten jedoch wichtige westliche Konzepte und Institutionen ein, die, obwohl sie oft im Widerspruch zum Jahrhunderte alte Werte und Traditionen standen, in den Köpfen der osmanischen Bürokraten mit Fortschritt und Modernisierung gleichgesetzt wurden."

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